Seit ich in Deutschland angekommen war, war mein einziger Gedanke, wie ich Geschäfte machen kann und Geld verdienen. Zunächst musste ich Arbeit finden – auch, wenn ich zunächst noch keine Arbeitserlaubnis hatte. Und so lief ich hierhin und dorthin, um die Möglichkeit zu erlangen, ein Einkommen zu erzielen.
Heute weiß ich, dass das doch recht einseitig ist, nur an die Arbeit und das Geld zu denken. Wir vergessen oft, dass Gott uns ein wunderbares Leben geschenkt hat. Jedem schenkt Gott einen bestimmten Zeitrahmen, um zu leben und sein Leben zu gestalten. Eine hat weniger Zeit und ein anderer hat mehr Zeit. Wir haben alle persönliche Herausforderungen im Leben zu bestehen, die als Gottes Wille zu betrachten sind. Es gilt, sie mit positiver Energie anzunehmen und dabei den Mut nicht zu verlieren.
Man vergisst, dass jedes Leben auch ein Ziel hat, nämlich den Friedhof. Da geht es zu Ende. Bei einem Sikh ist die letzte Reise nach der Verbrennung der Kiratpur. Hier wird die restliche Asche in den Fluss geschüttet und das letzte Gebet von einem Priester gesprochen.
Oh Freunde, wohin hat es mich hier getrieben? Ich wollte doch eine spannende Geschichte von meinen Arbeitsstellen erzählen. Und auf einmal bin ich dabei auf dem Friedhof gelandet. Dabei will dort doch keiner hin. Die Menschen wollen vor allem ihren Lebenszielen nachstreben, arbeiten und Geld verdienen, die üblichen Pflichten erfüllen als Kind, als Freund oder als Eltern – aber keiner denkt dabei an den Friedhof.
Man kann das Leben als eine Reise betrachten. Es gibt dabei einige Mitreisende. Da sind die Frauen, die Kinder, die Freunde, die Arbeitskollegen. Iqbal, von dem ich eine Geschichte erzählt habe, war auch einer meiner Mitreisenden. Unsere Leben verlief durch Höhen und Tiefen und eines Tages trennten sich unsere Wege, als Iqbal nach Freiburg ging.
Vorher stellte Iqbal mich allerdings in einem chinesischen Restaurant vor. Er machte mich mit dem Chef bekannt und später begann ich, dort zu arbeiten. Diese Geschichte möchte ich mit euch teilen.
„Ich gehe in eine andere Stadt,“ so redete Iqbal mit dem Chef des chinesischen Restaurants, „und das ist mein Kollege. Ich kann bei dir nicht länger arbeiten und du hast doch gesagt, dass du unbedingt jemanden brauchst. Deshalb kann der doch bei dir weiter arbeiten.“ Ich stand dem Chef gegenüber und er betrachtete mich genau von oben bis unten. Dann fragte er Iqbal: „Ist er auch aus Bangladesch?“ Und Iqbal antwortete: „Der ist aus Indien.“
Als er mich nach meinem Namen fragte, sagte ich: „Mein Name ist Singh.“ Daraufhin musste der Chef lachen. „Ja, es gibt den Namen „Schingh“ auch in China. Gut, ich habe Arbeit von Mittwoch bis Sonntag von 10.30 Uhr bis abends um 11 Uhr. Wann geht dein letzter Bus?“ Ich meinte: „Der letzte Bus geht um 10 nach 11.“ „Ja, dann arbeitest du bis um 11 Uhr.“ Und dann erklärte er nochmals: „Von Mittwoch bis Sonntag, von 10.30 Uhr bis um 11 Uhr. Jeden Tag bekommst du 50 Mark – Cash, bar auf die Hand.“ Ich war damit einverstanden. Und dann sagte er leise: „Normalerweise fragt hier keiner. Aber, wenn eine Kontrolle kommen sollte vom Ordnungsamt, Polizei oder Gesundheitsamt, dann muss du denen sagen: „Das ist der erste Tag. Ich habe heute erst angefangen, hier zu arbeiten.“ Dann bekomme ich keinen Ärger und du auch nicht.“ Das hatte ich verstanden.
Und er sagte mir: „Wenn du hier arbeitest, darfst du zweimal essen. Zweimal kannst du dir zwei Flaschen Wasser zu trinken holen. Ansonsten: Im Wasserhahn haben wir genug Wasser. Bier oder Wein darfst du nicht trinken. Wenn ich Bier trinken will, muss ich besonders nachfragen. Am Nachmittag von 14.30 Uhr bis 17 Uhr hast du frei. Du darfst nicht alleine im Restaurant bleiben. Diese Zeit musst du draußen verbringen. Wenn du damit einverstanden bist, sollst du bitte morgen um 10.30 Uhr hier im Restaurant sein.“
Ich hörte mir das alles an und erklärte mich einverstanden damit. Als wir wieder draußen waren, stellte ich Iqbal viele Fragen. Auf der einen Seite freute ich mich, weil ich Arbeit hatte und Geld verdienen konnte. Auf der anderen Seite war mir vieles unklar. Und so fragte ich: „Wie viel Arbeit hat man da eigentlich? Wie viele Teller habe ich zu waschen? Hat man ständig zu tun, oder hat man auch zwischendrin Luft? Muss ich auch dem Koch helfen – zum Beispiel beim Gemüseschneiden? Und du hast mir auch gar nicht erklärt, wo ich die gewaschenen Gläser und Teller hinstellen muss. Wer erklärt mir das? Erklärt es der Koch?“
Ich hatte hundert Fragen. Iqbal gab zunächst gar keine Antwort. Dann meinte er: „Mach dir keine Sorgen. Schau mich an. Ich bin 1 Meter 50 groß und du bist ein 1 Meter 82 großer Kerl. Und du machst dir so viele Sorgen. Der erschießt dich schon nicht. Die ersten zwei Tage geht es durcheinander und dann weißt du bei allem Bescheid. Komm, jetzt gehen wir nach Hause. Bleibe jetzt ruhig“
Als wir zuhause ankamen, machte ich mir schon am Nachmittag Gedanken. Meine Hose, meine Schuhe, mein Hemd, alles, was ich anziehen wollte, legte ich bereit. Zwischendurch sprach ich mit mir selber: „In Indien hast du sehr viele Pläne gehabt. Du hast studiert, du wolltest Geschäfte machen und eine gute Arbeit finden. Und jetzt bist du in Deutschland und jetzt hast du den Salat. Jetzt fängst du als Tellerwäscher an, was du nie in deinem Leben gedacht hättest.“ So drehten sich die Gedanken im Kreis – auch noch als ich abends schon im Bett lag. Schließlich schlief ich damit ein.
Um 7 Uhr wachte ich schon auf. Es war Iqbals letzter Tag bei uns. Und er meinte: „Komm doch mit mir zum Bahnhof, wenn ich dort nach Freiburg abfahre. Auf dem Weg erkläre ich dir noch einiges. Anschließend kannst du dann mit dem Bus nach Weidenau fahren – auch, wenn es noch etwas früh für deine Arbeit ist.“
So geschah es. Um 09.30 Uhr erreichte ich Weidenau und hatte noch eine Stunde Zeit, um mit meiner Arbeit anzufangen. Weidenau ist ein kleines Zentrum in Siegen. Dort gibt es eine Wasserfontäne mit zwei Bronze-Skulpturen. Hier setzte ich mich auf eine Bank und betrachtete die Kunstfiguren. Man kann sie so oder so verstehen. Ab und zu denkt man, es wären zwei Flüchtende, die weglaufen wolle. Wenn man aber genauer hinschaut, kann man auch denken, dass sie tanzen und fröhlich sind. So sprachen mich die Figuren an.
Die Uhr tickte ziemlich langsam. Ich hatte noch Zeit und begann, mir im Einkaufzentrum von Weidenau Schaufenster anzuschauen. Da war ein Schuhgeschäft und ich entdeckte ziemlich teure Schuhe. Sie kosteten über 150 Mark. Ich war ja erst einige Monate in Deutschland und hatte nie mehr als 20 Mark für Schuhe ausgegeben. Ich fragte mich: „Wer kauft denn solche teuren Schuhe?“ Mir fielen auch die Farben der Schuhe auf. „Wer kauft denn solche merkwürdigen Farben?“ Es gab hellblaue und lilane und rote Schuhe. „Wer zieht denn solche Schuhe an?“ Ein Schuh gefiel mir ganz gut. Ich schaute ihn genau an. 189 Mark sollte er kosten. Da dachte ich: „Komm, nee, lass es sein. Du musst vier Tage Teller waschen, um so einen Schuh kaufen zu können. Ich kaufe lieber bei Aldi. Das ist schon besser.“
Dann kam als nächster Gedanke: „Jetzt gehe ich gleich auf die Arbeit und werde mir richtig Mühe geben. Kollegen haben mir erzählt, dass sie auch bei einem Italiener als Tellerwäscher angefangen haben. Dann haben sie auch dem Koch geholfen und nach 6 Monaten waren sie Koch. Und dann haben sie richtig Geld verdient. Zuerst hatten sie 1.000 Mark im Monat gehabt. Und später nach 8 Monaten, als sie als Koch gearbeitet haben, hatten sie 3.000 Mark bekommen. Ich will mich auch bemühen, richtig zu arbeiten, und schaue, wie der Koch es macht. Dann habe ich auch irgendwann die Möglichkeit, richtig gut Geld zu verdienen.
In einem anderen Geschäft sah ich ein Hemd für 100 Mark und einen Anzug für 2.139 Mark. Allein ein Sakko kostete 999 Mark. „Ja, das ist ja unmöglich. So teure Sachen – wie ist das möglich? Betrügen sie oder ist die Qualität wirklich so hoch?“
Ich klopfte mir innerlich auf die Schulter und dachte: „Komm, erst mal arbeitest du und sparst Geld. Irgendwann hast du mehr Geld und bekommst auch irgendwann einen deutschen Pass. Und, wenn du dann nach Indien fährst, zeigst du das mal. Dann kaufst du eine Uhr, wie ich die für 2.000 Mark gesehen habe. Und du kaufst so einen Anzug.“
So begann ich zu träumen, um nach vorne zu schauen und positiv zu denken.
Während dieses Gedankengangs schaute ich auf die Uhr. Ich hatte noch 5 Minuten und lief meinem Ziel entgegen. Als ich die Treppe zum Restaurant hochstieg, kam mir ein eigenartiger Geruch entgegen. Es roch wie ein toter Fisch. „Wer hält denn diesen Geruch aus?“, dachte ich. „Wer kommt denn hier zum Essen hin?“ Mir war ehrlich gesagt etwas schlecht. An der Wand entdeckte ich ein riesiges Bild eines Drachen. Das war wohl als Werbung gedacht. Ich dachte aber: „Ein Drache ist normalerweise etwas Böses. Warum soll etwas Böses hier als Werbung hängen? Das gibt doch eine schlechte Aura und keiner kommt zum Essen.“ Als Inder hat man solche Gedanken. Bei genauerer Betrachtung stellte ich fest, dass der Drache mich anschaute und lachte. Es war ein hinterhältiges Lächeln.
Am Eingang des Restaurants saß Herr Ping vorne am Schalter. Ich sagte „Guten Tag“. Aber er schaute mich verständnislos an. „Guten Tag“, wiederholte ich. „Ich war gestern mit Iqbal hier. Sie haben gesagt, ich solle heute um 10.30 Uhr vorbei kommen.“ „Ah, ja, ja, ja, Sching, Sching“, fiel es ihm ein. „Ja, ja, kommen Sie mit.“
So nahm er mich zur Küche mit. Da stand ein kleiner Chinese mit fettigen Haaren, als wenn er monatelang seine Haare nicht gewaschen hätte. Den stellte er mir vor: „Das ist der Herr Li!“ Auch ihm gab ich die Hand. Herr Li neigte den Kopf bis weit unten und grüßte mich herzlich. Er war nicht größer als 1 Meter 60 und auch ganz schlank. Aber seine Hand war richtig hart und stark. Ich hatte das Gefühl, dass er sich freut, jemanden in der Küche zu haben, der ihm hilft.
Der Chef, Herr Ping verließ daraufhin die Küche. Nun hatte ich erwartet, dass der Koch mir in der Küche alles erklären würde. Aber ich wurde enttäuscht. Er konnte noch schlechter Deutsch sprechen und verstehen als ich. Dennoch fragte ich ihn: „Was soll ich machen? Wo soll ich spülen?“ und dergleichen. Aber unser Deutsch war schnell zu Ende. Er erklärte mir deshalb mit Händen und Füßen, wie die Maschine funktioniert und wo ich das Geschirr hin stellen soll. In der Mitte der Küche gab es einen riesigen Edelstahltisch. Hier sollte ich die Pfannen sauber machen, umgedreht abstellen und dann mit dem Handtuch abtrocknen. Sodann sollte ich die Pfanne mit Speiseöl einschmieren und dann unter dem Edelstahltisch abstellen. Er zeigte mir auch Kisten und verschiedenen Arten von Gemüse. Wenn ich gespült habe und Zeit habe, soll ich die Gemüse schneiden und in die Kisten legen. Wenn diese Kisten leer werden, sollte ich damit wieder beginnen und die Kisten neu füllen.
Ich schaute mich um. Es gab überall Regale, in denen Töpfe in allen Größen standen. Manche waren aus Kupfer und manche aus Edelstahl. Auch Kellen hingen dort. Erstaunt war ich von ihrer Vielzahl. 40 große und kleine hingen an der Seite. Die Küche hatte hinten ein Fenster. Ein anderes öffnete sich zum Restaurant hin mit einer Schiebetür. Der Koch erklärte mir, dass er die Speisen dort abstellt, damit der Chef oder seine Frau sie abholen können. Und ich sollte die schmutzigen Teller von der anderen Seite nehmen, die Essensreste in dem Müll werfen und dann die großen und die kleinen Teller sortieren und diese nach und nach waschen. Für das Besteck zeigte er mir einen großen Eimer mit Spülmittel und Wasser. Dort sollte ich das Besteck sammeln und später alles zusammen ins Becken schütten und waschen.
Mit etwas Deutsch und Händen und Füßen versuchte er mir, das alles zu erklären. Aber begriffen hatte ich nicht alles. Da klangen mir Iqbals Worte im Ohr: „Du bist ein Kerl. Schau selber zu und langsam wirst du alles verstehen.“
Mittlerweile war es 11 Uhr. Die Gäste betraten das Restaurant, wie ich an den Stimmen hinter der Durchreiche erkennen konnte. Der Koch hatte schon begonnen zu kochen und schickte bereits einige Gerichte raus. Nach und nach wurden die Gäste mehr. Das stellte ich an den Bestellzetteln fest, die an der Durchreiche hingen und die der Koch bearbeitete. Der Koch sah klein aus. Ich musste mich aber wundern, wie schnell er die verschiedenen Pfannen drehte und platzierte. Ich wunderte mich: „Wie ist das überhaupt möglich, gleichzeitig fünf Gerichte zu kochen?“ Er konnte das.
Ab und zu kamen der Chef oder seine Frau. Sie öffneten die Schiebetür und stellten die Teller und das Besteck ab. Wie der Koch mir erklärt hatte, nahm ich dort alles weg und bereitete es zum Waschen vor. Mittlerweile hatte ich mein Wasser fertig gemacht und fing auch an zu spülen.
Mir fiel auf, dass mich die chinesische Frau zornig anschaute. Ihre Stirn zeigte richtige Zornesfalten. Sie sah so aus als hätte sie nie in ihrem Leben richtig gelacht. Einmal, als sie die Schiebetür öffnete, betrachtete ich ihr Gesicht genau. Sie hatte ein großes Muttermal an der Seite ihres linken Auges. Als sie bemerkte, wie ich sie beobachtete, knallte sie die Schiebetür zu.
Die Teller wurden immer mehr und ich arbeitete sie umgehend ab. Die Essensreste warf ich in den Müll. Dann reinigte ich die Teller in warmem Wasser mit Spülmittel und zog sie sodann durch sauberes klares Wasser. An der Seite war ein riesiger Ständer, wo ich die Teller dann aufrecht rein stellte. Es gab auch Trockentücher. Wenn ich zwischendurch Zeit hatte, trocknete ich die Teller damit ab.
Der Koch hatte mir gezeigt, wo die Teller dann hinkommen. Aber es war der erste Tag. Ich schwitzte, war unter Stress und wusste nicht wohin mit ihnen. Ich öffnete die Schränke, aber habe immer wieder vergessen, wie die Ordnung ist. So wurden die Teller immer mehr und immer mehr und immer mehr. Der Koch war sehr schnell und ich gab mir Mühe, dass sich an der Durchreiche keine schmutzigen Teller stapelten. Ich wunderte mich. Um 2 Uhr hatte ich schon zwei Säcke mit Müll gefüllt. Um halb drei schaffte ich es kaum noch.
Zum Mittagessen hatten der Koch und ich noch immer keine Zeit gehabt. Der Chef und seine Frau waren schon weg. Und ich fragte den Koch: „Wir haben bald 3 Uhr. Der Chef hat doch gesagt, dass das Restaurant um 2 Uhr zumacht.“ Um 2 Uhr hatten sie tatsächlich zu gemacht, aber um 3 Uhr waren wir beide erst fertig und ich habe mit dem Koch das Restaurant verlassen. Der Koch ging nach oben in seine Wohnung und ich nach unten und nach draußen. Ich hatte aber Hunger! Ich hatte mich nicht getraut, den Koch zu bitte, dass er mir zu essen gibt. Es war auch so viel zu tun, dass ich da gar nicht dran gedacht habe. Und auch nach der versprochenen Wasserflasche hatte ich nicht gefragt.
So hatte ich ziemlich Hunger und Durst, als ich in das Einkaufszentrum kam. „Wenn ich jetzt etwas zu Essen und zu Trinken kaufe,“ dachte ich, „dann sind 12 Mark weg. Und, wenn die 12 Mark weg sind, habe ich den ganzen Tag für 38 Mark gearbeitet. Das ist ja gar nichts.“ So überlegte ich hin und her, was ich denn tun sollte.
Ich sah mich um und stieß auf ein Fischgeschäft. Ich näherte mich den Auslagen und mir fiel ein gebratener Fisch in einem großen Brötchen ins Auge – 4 Mark 70. Und ich sah eine Flasche Cola – 1 Mark 20. Das waren 5 Mark 90. Ich bekam richtig Lust, das zu essen. Und ich stelle mich in die Schlange. Hinter der Theke standen zwei Frauen, eine ältere und eine junge. Sie unterhielten sich mit den Leuten ziemlich laut und lachten. Das fiel mir auf. Schließlich kam ich dran. Die ältere Dame sah mich freundlich an: „Ja, bitte schön, junger Mann.“ Ich schaute sie an und zeigte mit dem Finger nach den Fischbrötchen und sagte: „Fischburger?“. Sie erwiderte: „Das sind Brötchen.“ Ich fragte sie nochmals: „Ist Fisch drin?“ Und sie sagte: „Ja.“ Und sie nahm mit einer langen Zange ein Brötchen aus der Theke. Und ich fragte nochmals: „Ist das Fisch?“ „Ja, das ist Backfisch.“
Ich hatte noch eine Frage und überlegte, wie ich die mit meinem gebrochenen Deutsch stellen konnte. Und ich fragte: „Sind in diesem Fisch Nadeln drin?“ Sie sagte: „Wie bitte? Was für Nadeln?“ „Sind da Nadeln drin?“ Sie schaute mich verdutzt an. Ich wusste ja nicht, dass man „Gräten“ sagt. Und ich versuchte es nochmals: „Im Fisch sind doch immer Nadeln drin.“
Ganz leise kam die junge Verkäuferin hinten heran und flüsterte der älteren etwas uns Ohr. Und diese begriff endlich: „Ach so, junger Mann, ich weiß jetzt, was du willst. Da sind keine Nadeln drin.“ Und sie lachte laut und klopfte mit den Händen auf ihren Oberschenkel und lachte immer weiter. Als ich mich umschaute, grinsten alle Leute vor sich hin. Aber sie waren sehr freundlich dabei und haben mich nicht laut ausgelacht. Dann kam die ältere Dame wieder zu sich und sagte: „Hallo, junger Mann, das sind keine Nadeln. Du weißt nächstes Mal Bescheid. Nicht „Nadeln“. Das sind Gräten, okay?“
Sie pachte mir das Brötchen in eine Tüte und packte einfach eine Cola dabei. Normalerweise hätte ich Wasser genommen. Aber ich hatte keine Kraft mehr, ihr das noch mal zu erklären. Und ich nickte mit dem Kopf und sagte: „Ist alles okay.“ Und sie reichte es mir: „Das macht 4 Mark 70 – ein Fischbrötchen ohne Gräten und eine Cola. Ist das okay?“ „Ja, das ist es.“ Und ich gab ihr 10 Mark. Sie gab das Wechselgeld heraus.
Dann nahm ich meine Beine in die Hand. Schnell weg. Die Leute grinsten. Sie taten es aber nicht so auffallend, damit ich mich nicht schämen sollte. Aber ich schämte mich. Meine Ohren waren richtig rot und heiß, als ich das Geschäft verließ. So lief ich durch die Menschenmenge draußen hindurch zu der Bank an der Wasserfontäne. Dort verzehrte ich mein Brötchen. Es schmeckte ganz gut.
Bald war es 5 Uhr und ich machte schnell meinen Weg zum Restaurant. Dort zog ich meine Jacke aus, hing sie auf und begab mich auf meinen Spülplatz. Ich hatte das Wasser nicht aus den beiden Spülbecken gelassen, als ich gegangen war. So zog ich jetzt den Stöpsel und gluckernd floss das Wasser ab. Da öffnete sich die Schiebetür, der Chef sah hindurch und sagte: „Herr Singh, alles gut sauber machen, ja?“ Schon war die Schiebetür wieder zu. „Okay!“ Ich reinigte also die Spülbecken und ließ neues Wasser einlaufen – auf der einen Seite mit Spülmittel und auf der anderen Seite klares Wasser.
Da öffnete der Chef wieder die Schiebetür und brachte mir alle Blumenübertöpfe. Die sollte ich sauber machen. Und der Koch legte mir die Kellen hin und zeigte auf die Töpfe. Sie meinten, ich hätte etwas Leerlauf und schon waren alle Theken bei mir wieder voll mit allen möglichen Sachen. Sie dachten wohl: „Jetzt haben wir einen, den man richtig knebeln kann. Jetzt wollen wir mal sehen, dass er genug Arbeit bekommt. Alle Arbeit, die wochenlang liegen geblieben ist, schieben wir ihm jetzt zu.“
Ich spülte zuerst die Töpfe, säuberte dann die Kellen. Die Porzellanvasen, die da standen, schob ich vorsichtig auf die Seite. Dafür ließ ich später das Schmutzwasser ab und füllte neues Wasser in die Becken. Als es deshalb wieder gluckerte, sah es so aus, als würde das dem Chef gar nicht gefallen, dass ich innerhalb einer halben Stunde das Wasser schon wieder abgelassen habe. Dabei wollte ich doch nur die Vasen mit sauberem Wasser abwaschen. Sie sollten keine Flecken bekommen. Sie sahen nämlich richtig teuer aus.
Am Ende räumte ich meine Ablage frei. Da ging die Schiebetür wieder auf. Etliche Figuren von Buddha waren dahin gelangt und es war wieder alles voll. Ich nahm einen Buddha in die Hand. Die Figur war schon länger nicht mehr gereinigt worden und schon richtig klebrig und dreckig. Ich wunderte mich: „Buddha ist doch für die auch ein Prophet oder ein Gott. Warum machen sie ihn nicht sauber? Ich kenne das von Indien. Wenn man eine Figur anbetet, dann muss man sie richtig sauber halten. Das gilt auch, wenn man sie nur als Figur benutzt.“ Und ich sprach mit mir selber: „Warum machst du dir überhaupt Gedanken über deren Kharma? Du sollst deine Arbeit machen.“
Für die Buddhafigur machte ich neues Wasser. Wenn sie ihn auch nicht ordentlich behandeln, soll er wenigstens mit sauberem Wasser gewaschen werden. In Indien gibt es auch viele Buddhisten. Und die ehren ihn wie einen Messias oder einen Gott. Ich bin zwar kein Buddhist, aber ich will ihn trotzdem vernünftig behandeln. Ich will ihn nicht nur sauber machen. Ich gebe ihm eine Dusche und ermögliche dem Buddha ein Bad. Er ist ein Gott für Millionen von Menschen. Deshalb will ich ihn auch vernünftig behandeln.
Ich bemerkte, dass der Koch mich beobachtete, wie ich den Buddha gebadet habe. Auf einmal wollte er mir helfen. Nachdem ich den Buddha gebadet und vorsichtig in die Ecke gestellt hatte, nahm er ein Trockentuch und säuberte ihn weiter. Dabei schaute er mich freundlich an. Vielleicht hatte er gemerkt, dass ich den Buddha nicht so wie einen Teller gewaschen habe. Ich dachte: „Vielleicht will er auch für sein Kharma etwas tun.“ So verfuhren wir mit allen Buddhafiguren.
Es waren etwa 20 Figuren von Buddha. Manche waren weiß, manche hatten einen besonders dicken Bauch. Eine Figur fiel mir besonders auf. Buddha hatte Kinder an sich hängen. Alle waren unterschiedlich. Und als ich sie gebadet hatte, hatte ich das Gefühl, dass sie mich alle anschauten und glücklich waren. So wie man glücklich ist, wenn man selber gebadet hat und den Schlafanzug anzieht. So schauten sie mich richtig glücklich an.
Es kam mir so vor, als wenn ich mehr Respekt vor Buddha habe als der Chinese, der ihn so lange nicht richtig sauber gemacht hat. Diese Handlung der Buddha-Waschung war das Einzige, was mir richtig Spaß gemacht hat. Und ich war sehr zufrieden.
Als ich am Ende die Schiebetür aufmachte und alle Figuren in der Durchreiche abgab, war ich richtig glücklich. Die Frau des Chefs sah mich an und fragte sich, warum ich so lächelte. Sie dachte wohl, dass ich ihr Muttermal wieder angeschaut hätte. Deshalb hielt sie ihre Hand dorthin und schob die Haare etwas darüber und zog ihren Hemdkragen hoch. Ich sollte nicht über sie lachen.
Ich hatte gelesen, das viele Chinesen Buddhisten sind. Aber ich meinte: „Diese Chinesen denken wohl nur ans Geldverdienen. Sie behandel den Buddha nicht richtig. Er ist für sie nur ein Schaustück und ein Werbemittel. Sie haben überhaupt keinen Respekt vor ihm. Er ist wohl mittlerweile keine religiöse Figur mehr für sie.“ Und ich dachte: „Die sind ja mittlerweile Kinder von Mao und nicht von Buddha.“
Nun hatte ich die Buddha-Figuren alle gewaschen und die Vasen und war froh, dass ich das alles getrocknet und abgegeben hatte. Da ging die Schiebetür wieder auf. Jedes Mal, wenn die Tür sich öffnete war so ein „Klack“ dabei, das mich erschrak. Und wieder ging die Schiebetür auf. Sie stellten noch einige große Vasen in die Durchreiche. Sie sahen alt und handgemalt aus. So machte ich mich wieder an die Arbeit.
Und ich überlegte: „Wenn ich 5 Tage in der Woche arbeite, sind das 250 Mark. Wenn es ein Monat so geht, ist es 1.000 Mark. Wenn ich wenigstens drei Monate so arbeite, habe ich 3.000 Mark. Ich habe doch sonst nichts zu tun. Das ist besser als nichts.“ Ich war also mit meinen Gedanken ganz woanders. Als ich die Vase wusch, betrachtet ich sie zugleich, wie schön sie einer bemalt hatte. Es waren weiße Vögel darauf, auch ein Drache und einige Chinesen mit Hut liefen dort herum. Eine schöne Strohhütte stand dort, wo ein Kind spielte. Ich war ganz von dieser Geschichte gefangen.
Auf einmal ging – klack – die Schiebetür auf. Und es geschah, was ich die ganze Zeit schon befürchtet hatte. Die Vase rutschte aus meiner Hand und es gab einen Knall auf dem Boden. Das Porzellan flog durch die Gegend. Mein Herz ist fast stehen geblieben. Der Chef und die Chefin liefen herbei und standen beide in der Küche. Ich sagte halb in Deutsch und halb in Englisch: „Sorry und Entschuldigung“. Aber beide haben sehr geschimpft – beide in Chinesisch. Und sie sprachen mit dem Koch und zeigten mit der Hand auf mich. Und der Koch zeigte auch auf mich. Ich habe ihn nicht verstanden, aber ich meinte, er wollte sagen: „Ich habe doch nichts kaputt gemacht. Das war doch der!“ Die Chefin sagte mir: „Diese Vase war sehr teuer. Du musst aufpassen!“
Dieser Vorgang war so eindrücklich, dass ich meinte, meine Seele hätte eine Macke bekommen. Und ich nahm schnell den Besen und begann, alles sauber zu machen. Die restlichen Vasen habe ich dann alle sehr sehr vorsichtig gehalten und alle gereinigt. Als sie alle fertig waren und aus der Durchreiche herausgegeben wurden, war ich richtig richtig froh. Mein Mund war trocken und ich wollte nach einer Flasche Wasser fragen. Ich habe mich aber nicht getraut. Sie hätten vielleicht gesagt: „Jetzt hat der alles kaputt gemacht und will dann auch noch Wasser haben.“
Ich bemerkte zwischendurch auch ein chinesisches Mädchen – vielleicht eine Tochter des Chefs. Sie war etwa 20 Jahre alt – also ziemlich jung. Sie hatte allerdings ein freundliches Gesicht gemacht. Sie schaute mich an, grüßte und lächelte. Ich wart richtig froh, dass es in diesem Laden auch ein lachendes Gesicht gab.
Danach ging es richtig los mit den Tellern und Gläsern und allen möglichen weiteren Sachen. Die ganze Theke war voll davon. Ich arbeitet so schnell ich konnte, weil ich es wegbekommen wollte. Einmal schaute ich auf die Uhr. Da war es schon 10 Uhr 30. Mein Bus ging ja um 11 Uhr. Und ich strengte mich noch mehr an, alles sauber zu machen. Und ich sagte dem Koch: „Es ist viertel vor 11. Ich muss meinen Bus bekommen. Aber der Koch meinte: „Da sind doch noch Teller.“ Und ich wiederholte: „Ich muss meinen Bus bekommen. Es ist sonst zu spät.“ Ich versuchte noch so viel wie möglich aufzuräumen. Einige Teller blieben allerdings stehen. Die Gummistopfen nahm ich schnell aus den Spülbecken, damit wenigstens das Wasser abläuft. Dann wischte ich beide Becken aus und wollte gehen.
Die Gäste waren schon alle gegangen und ich stand draußen vor der Theke. Normalerweise sollte der Chef Geld zahlen, wenn ich Feierabend machte. Aber heute schaute er mich an und sagte: „Du hast meine Vase kaputt gemacht. Diese Vase war richtig teuer – über 100 Mark.“ Als die Chefin dazu kam, habe ich mich noch mehrmals entschuldigt: „Sorry, das tut mir richtig leid, was passiert ist.“ Als ich auf die Uhr schaute, war es schon nach 11. Ich hatte den Eindruck, sie wollten nicht zahlen. Und der Chef sagte: „Du hast es kaputt gemacht. Normalerweise gibt es dafür kein Geld.“ Ich wollte aber nicht gehen. Und sie merkten das. Der will trotzdem nicht gehen. Der will das Geld haben. Dann griff der Chef nach seiner Geldbörse und drückte mir 50 Mark in die Hand. Aber der Weg seiner Hand zum Portemonnaie fiel ihm sehr schwer. Das spürte ich deutlich.
Die 50 Mark steckte ich direkt in die Hosentasche und lief zum Bus. Ich lief wie ein Vogel, der jahrelang in einem Käfig war. Der fliegt, wenn die Tür aufsteht umgehend heraus, ohne zu schauen, ob etwas passieren kann.
Endlich kam ich an der Bushaltestelle an. Der Bus war ganz kurz davor, weg zu fahren. Gerade, als ich in ihn hineinsprang, gingen die Türen zu. Ich hatte keine Kraft mehr nach hinten zu gehen. Vorne saß eine gut gekleidete Frau und ich setzte mich einfach neben sie. Wenn sie sich mir zuwendete, zuckte immer ihre Nase und dann drehte sie sich wieder weg. Irgendwann stand sie auf und setzte sich einige Plätze weiter alleine hin. Ich dachte: „Was ist das für eine komische Frau. Warum setzt sie sich weg?“ Dann erst bemerkte ich, wie voll geschwitzt ich war. Der Bus war fast leer. So ging ich dann ganz nach hinten und setzte mich dort alleine hin. Ich wollte niemanden belästigen.
Am Hauptbahnhof Siegen nahm ich den nächsten Bus und fuhr nach Hause. Alle Kollegen dort schauten mich erwartungsvoll an. Sie hatten schon auf mich gewartet. Es war halb 12. Ich fragte sie: „Was wartet ihr? Warum seid ihr nicht im Bett?“ Sie antworteten: „Wir dachten, du bringst chinesisches Essen mit. Wir wollen das mal probieren. Du bist schon zwei Tage da. Vielleicht hast du ja Gelegenheit, etwas mitzubringen.“ Ich entgegnete: „Was soll ich denn mitbringen? Ich hatte keine Zeit, dort selber etwas zu essen.“ Ich hatte ja selber noch Hunger und dachte, meine Kollegen hätten etwas für mich vorbereitet. Aber sie sagten: „Wir haben nichts für dich übrig gelassen, weil wir dachten, du isst sowieso bei dem Chinesen. Normalerweise essen die, die dort arbeiten, auch da.
Als ich in die Küche ging, stand dort ein guter Freund von mir, Sodi. Der hatte Mitgefühl mit mir und sagte: „Du riecht etwas streng. Geh erst mal duschen und ich mache dir etwas.“ Und er bereitete für mich Rührei und backte Brot auf. Und ich ging duschen. Ich war ja voll geschwitzt und habe gestunken wie noch nie in meinem Leben. Nach dem Essen legte ich mich direkt ins Bett.
Am nächsten Tag um 8 Uhr war ich wach. Zügig kochte ich mir Tee und bereitete etwas zum Essen zu. Pünktlich um 10 Uhr 30 war ich auf der Arbeit. Und dann ging es wieder los. Das Klackern der verschiedenen Teller und der Kellen in den Pfannen, wenn der Koch kochte, klackerte die ganze Zeit in meinen Ohren und in meinem Kopf. Wenn ich zwischendurch Zeit hatte, holte ich das Gemüse und schnippelte es, wie er es mir erklärt hatte, und machte seine Dosen voll.
Und immer zeigte mir der Koch noch, was ich zusätzlich tun könnte, wenn ich Zeit habe. Es kam mir so vor, als dächte er: „Solange einer da ist, muss man die Gelegenheit ausnutzen. Vielleicht muss ich bald wieder alleine arbeiten.“
Wenn ich einige Teller abgewaschen hatte und das Wasser bräunlich und dickflüssig wurde, zog ich den Pfropfen aus dem Spülbecken. Sobald ich das aber tat und das Wasser begann, heraus zu gluckern, kam entweder der Chef oder seine Frau und schaute herein, was ich machte. Nun, ich füllte das Spülbecken wieder mit heißem Wasser und habe die Spülmittelflasche genommen und mehrmals gedrückt, damit richtig Spülmittel im Wasser war.
Das tat ich mehrmals am Tag und wechselte das Wasser, wenn es dreckig war. Und jedes Mal, wenn ich das tat, wurden sie nervös. Ich bemerkte, dass ihnen etwas nicht gefiel. Grundsätzlich schauten sie immer hin, wenn ich Wasser wechselte.
Die Atmosphäre war wirklich nicht gut. Es war bedrückend und niemand sprach mit einem anderen. Ein Inder würde sagen: „Alle haben ein Steingesicht ohne jeden Ausdruck.“ So haben sie sich gegenseitig angeschaut. Ich hatte aber den festen Vorsatz: „Ich gehe hier nicht weg. Ich will hier arbeiten und Geld verdienen.“
Zwischendurch beobachtete ich, wie die Chefin durch die Hintertür hereinkam. Sie gab dem Koch Teller, auf denen noch Fleischstücke lagen oder Salat. Dabei hatte ich mir gar nichts gedacht und kannte das System noch nicht. Zunächst vermutete ich: „Sie hat gewiss einen Hund. Sie sammeln die Reste und nehmen sie abends für den Hund mit.“ Aber der Koch nahm sich zwei von diesen Fleischstücken und machte sie wieder in der Pfanne warm und legte sie auf einen neuen Teller. Und, wenn sauberer Salat kam, wusch er ihn einmal, und legte ihn dazu. Und, wenn Tomaten zurückkamen, die er kunstvoll geschnitten hatte wie Blumen, verwendete er sie auch wieder. Und das ganze verkaufte er dann wieder neu.
Da wurde mir klar, warum er von meinen Spültellern die Fleischstücke immer schnell wegnahm und auch nach den schön geschnittenen Tomaten griff. Die Leute hatte die Tomaten vielleicht auf den Tellern liegen lassen, weil sie so schön waren. Da begriff ich. Alles, was zurück ging und noch gut war, haben sie gereinigt und in den Kühlschrank gelegt. Und dann verkauften sie es anderen Gästen als neu. Als ich das gesehen hatte, bekam ich einen Knoten im Magen.
Ich überlegte: „Wenn ich als Gast hier hin komme, bekomme ich auch die Reste von anderen Leuten warm gemacht.“ Und als ich in den Kühlschrank schaute, bemerkte ich, dass dort mehrere Schüsseln standen mit verschiedenen Sorten Fleisch, Gemüse und Salat.
Und ich nahm mir vor, dass ich, wenn dich die Teller in die Finger bekomme, die Reste immer sofort schnell in den Müll werfe. Bevor der Koch kommen konnte, nahm ich einen Teller und entsorgte die zwei Stücke Fleisch darauf umgehend. Der Koch sah das, aber er hat sich nicht getraut, mir etwas zu sagen. Einige Stunden waren vergangen. Ich konnte es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. „Wie kann man denn die Reste einer Person einer anderen verkaufen. Das geht doch nicht. Die Leute haben ihr Essen bezahlt und sind in dem Glauben, dass alles frisch wäre.“ An diesem Tag war ich eisern. Bevor er das anfasst, werfe ich es in den Müll.
Am späten Abend kam die Chefin durch einen Zufall herein. Und sie sah mich gesehen, wie ich alles weggewarf. Sofort sprang sie herbei und sagte: „Nein, mach das nicht. Was tust du denn da?“ Und ich fragte: „Was soll ich nicht machen?“ Nach einige Sekunden holte sie ihren Mann. Der packte mich an den Schultern und schüttelte mich. „Wenn Fleisch zurückkommen, nix wegwerfen, auf Seite legen.“ Und dann schimpfte er auch den Koch aus, weil der mir nichts gesagt hatte. Dann öffnete er den Kühlschrank und merkte, dass heute viel weniger Stücke dort angekommen waren, weil ich ja alles weggeworfen hatte.
Mir gefiel es überhaupt nicht, dass er mich an den Schultern gefasst mich geschüttelt hatte. Deshalb packte ich seine Hand, drückte fest zu und schob sie zurück an seine Seite. Und dann klopfe ich meine Schulter ab, als wenn ich sie sauber mache. Das sollte ihm ein Zeichen sein, dass er mich nie wieder anfassen solle. Das hatte er auch begriffen.
Mittags wollte ich etwas zu Essen haben. Und ich sagte dem Koch: „Nicht von diesen Schüsseln.“ Dabei zeigte ich auf das frische Hähnchenfleisch und sagte: „Das hier nehmen!“. Er schaute mich verwundert an, aber machte es. Um halb 3 nahm ich sein Essen und ging raus. Der Chef sah das Essen in meiner Hand, mit dem ich ging und lief sofort in die Küche.
Ich setzte mich aber draußen auf die Bank an der Wasserfontäne und aß es in Ruhe auf. Und ich überlegte: „Hier ist es nicht gut. Mir gefällt die Arbeitsatmosphäre nicht.“ Und ich ging herum und schaute überall, ob es noch andere Restaurants gäbe, wo ich nach Arbeit fragen könnte. Ich hatte ja Mittags immer zwei Stunden Zeit. „Es ist doch gewiss nicht das einzige Lokal, wo ich Arbeit finden kann.“ So fand ich auch ein griechisches Restaurant. Und hinter den Bahnschienen fiel mir ein riesiges Restaurant mit Garten auf. Es hieß das „Gartenhaus“. Vorne standen viele Tische und Stühle und hinter den Bäumen war der Eingang zu einem großen Lokal.
So vergingen die Tage. Ich arbeitete immer weiter. Aber es ging mir nicht aus dem Kopf, dass sie das, was zurück kam, immer wieder verkauften. Das konnte ich nicht übersehen. Es war für mich etwas ganz Neues. Zugleich sah ich mich auf einem moralischen Tiefpunkt. „Wie tief muss man gesunken sein, wenn man genug Geld verdient und so etwas tut. Dann muss man doch nicht das Essen von einem zum anderen verkaufen, um noch mehr Geld zu verdienen.“
Abends sagte ich dem Koch, dass er mir wieder zu essen machen sollte, damit ich es mitnehmen kann. Da hatte ich aber nicht immer genug Zeit, um zu sehen, was der Koch für mein Essen genommen hatte. Und, wenn ich ging, schauten sie immer genau meine Tüte an und machten sich Gedanken, was ich wohl mitgenommen hätte. Ich merkte, dass ihnen das nicht gefällt.
Als ich zuhause ankam, wollten meine Kollegen auch etwas davon haben. Und ich überlegte, ob ich es ihnen sagen sollte, woher das Essen kommen kann. Und ich dachte: „Ich sage ihnen, wie es ist. Und, wenn sie es dann essen wollen, sollen sie es tun.“ So machte ich es. Und einer sagte: „Das ist mir egal, wenn das Fleisch gebraten ist, ist alles gut und ich esse es.“ Und ich meinte: „Das muss jeder selber wissen.“ Wenn ihr hier kocht, dann lasst es für mich an der Seite. Ich esse lieber indisch und bereite es mir hier zuhause zu.
Eines Mittags sagte ich dem Koch wieder: „Mach mir Essen von den frischen Sachen hier und packe es mir ein. Ich esse es dann draußen.“ Aber dieses Mal entgegnete der Koch: „Nein, wenn du essen willst, musst dich hier hinsetzen. Ich mache dir Essen von dem, was da ist, und du musst hier sitzen und es essen und darfst es nicht nach Hause mitnehmen. Das hat der Chef so gesagt.“ Ich war erstaunt. Er hat doch selber gesagt, das ich zweimal hier essen darf. Und, ob ich hier sitze und es esse oder draußen esse, ist doch normalerweise egal. Dann dämmerte es mir, warum der Chef mich so anschaute, wenn ich mit dem Essen ging. Vielleicht hätte ich ja vorher schon etwas aus der Küche gegessen und dann noch etwas nach Hause mitgenommen. Das gefiel ihm nicht.
Wie immer hatte ich um Viertel vor 11 Feierabend gemacht. Dieses Mal waren aber einige Sachen liegen geblieben, weil Samstag war. Ich sagte einfach dem Koch Tschüss und auch dem Chef. Sie gaben mir aber keine Antwort. Ich nahm an diesem Abend auch kein Geld und ging einfach raus. Im Bus setzte ich mich jetzt grundsätzlich hinten alleine hin. Aus meinen Erfahrungen heraus setzte ich mich lieber für mich, bevor die anderen mit der Nase zuckten.
Wie immer kam ich nach Hause und meine Kollegen fragten: „Hast du denn kein Essen mitgebracht?“ Ich antwortete: „Nein, der Chef hat gesagt: Das geht nicht. Wenn ich Essen mitnehmen will, muss ich zusätzlich bezahlen. Wenn ich dann 12 Mark bezahlen muss und ich 50 Mark bekomme, bringt mir das Ganze nichts.“ Einige schimpften herum: „Was ist das denn für ein Chef, der so wegen dem Essen rumheult?“
Als ich dann im Bett lag, begann ich zu grübeln: „Ich bin jetzt schon eine Woche bei dem Chinesen. Die Stimmung dort ist so unangenehm. Kann ich da länger arbeiten?“ Auf der anderen Seite sagte ich mir: „Gut, dass ich nicht nach Indien telefoniert und ihnen gesagt habe, dass ich diese Arbeit begonnen hatte. Wenn ich jetzt aufhöre, würden sie wieder sagen: Jetzt will der schon wieder nicht arbeiten und durchhalten. Er ist so wählerisch. Er will gar nicht arbeiten.“ Und so kam ich zu dem festen Entschluss, weiter zu arbeiten egal, was passiert.
Mittlerweile traute ich mich gar nicht mehr, von dem Chinesen Essen zu verlangen. Und ich habe es auch gar nicht mehr gemacht. Statt dessen kaufte ich mir Fisch oder etwas anderes, was günstig war. Und auch Getränke habe ich mir selbst gekauft und mitgenommen. Noch nicht einmal das Wasser wollte ich von denen haben. Und ich überlegte mir: „Wenn ich pünktlich um 2 Uhr Feierabend mache – auch, wenn noch etwas zu arbeiten übrig ist – kann ich Mittags nach Hause fahren. Und da kann ich mir etwas zu Essen kochen.“ Genau so habe ich es gemacht. Ich fuhr mit dem Bus nach Hause. Eine Buskarte hatte ich ja. Dort habe ich schnell was gegessen und dann ging es wieder auf die Arbeit. Bis pünktlich um 17 Uhr habe ich es immer geschafft.
Wenn ich dann wieder pünktlich anfing, ließ ich das alte Wasser ab und füllte wieder neues ein. Jedes Mal, wenn ich das machte, hörte ich, wie der Chef mit dem Koch sprach. Ich vernahm dann immer ein „Dang, Dang, dang, dang.“ Ich verstand kein Wort und dachte: „Es sind doch alle Vokabeln, die sie gebrauchen, gleich.“
Einmal beobachteten sie mich dann beide, wie ich heißes Wasser einließ und die Spülmittelflasche nahm und fünf Mal darauf gedrückte. Und dann rührte ich das Wasser, damit etwas Schaum da war. Plötzlich tauchte auch die Chefin auf und sie legten ganz laut los: „Singh, Wasser ist teuer. Du machst fünf oder sechs Mal neues Wasser rein. Maximal zwei Mal muss genügen. Und das Spülmittel nicht fünf Mal drücken. Spülmittel ist auch teuer. Zweimal drücken.“ Dann nahm er die Flasche in die Hand und zeigte es mir: „Einmal, zweimal, Schluss! Nix mehr machen!“ Sie regten sich gewaltig auf und schimpften gewaltig laut.
Ich war ganz durcheinander. „Was passiert denn hier? Wenn das Wasser dickflüssig und braun wird, wie soll ich dann überhaupt Teller waschen und richtig sauber bekommen? Und, wenn ich kein Spülmittel hineintue, wird das Geschirr doch gar nicht richtig sauber. Das gibt es doch nicht!“ Ich regte mich so auf, dass ich alles liegen lassen wollte und gehen. Und dann erinnerte ich mich an einen Satz meiner Mutter. Sie hatte ihn als Weisheit weiter gegeben. „Wenn du an einer rutschigen Stelle ausrutschst oder der Chef dich schimpft, darfst du nicht ärgerlich sein. Mache einfach weiter.“ Und so schluckte ich meine Wut herunter und begann, weiter zu arbeiten.
Als ich an diesem Abend im Bus saß, musste ich mit mir selber und meiner Moral kämpfen. Auf der einen Seite nehmen sie die Reste der Gäste, machen sie sauber, verarbeiten sie weiter und geben sie dann anderen Gästen zu essen. Auf der anderen Seite sind sie nicht in der Lage, die Teller richtig sauber zu bekommen, weil sie Wasser sparen wollen. Das Geld, das ich für die Arbeit bekomme, ist eine Sache. Auf der anderen Seite hat, als es so viel Arbeit war, nie jemand gelächelt oder „Danke“ gesagt.
Am Montag und Dienstag hatte ich frei. Am Mittwoch fing ich wieder an, zu arbeiten. Als ich am Mittwoch Geld haben wollte, sagte der Chef: „Das Geld bezahle ich dir Sonntag zusammen.“ Am Sonntag, als ich Feierabend hatte, fragte ich die Chefin: „Wie ist es mit meinem Geld?“ Dann sagte sie: „Wenn du Mittwoch zur Arbeit kommst, dann bekommst du das Geld. Heute ist der Chef nicht da und ich kann dir nichts geben.“
Als ich Sonntag im Bus nach Hause fuhr, überlegte ich: „Nun habe ich die ganze Woche gearbeitet. Das sind doch 250 Mark. Was mache ich, wenn sie mich nicht bezahlen? Dann sind die 250 Mark weg. Ich habe ja keine Arbeitserlaubnis. Ich arbeite doch illegal. Deshalb kann ich dagegen doch gar nichts machen.“
Am Montag und Dienstag nahm ich es mir ganz fest vor: „Wenn ich Mittwoch da hin gehe, verlange ich morgens mein Geld. Wenn er mir mein Geld nicht gibt, werde ich nicht mehr da arbeiten.“ Die ganzen Tage musste ich daran denken. Endlich war es Mittwoch. Direkt, als ich bei der Arbeit ankam, sagte ich dem Chef „Guten Tag“ und blieb vor ihm stehen. Und ich forderte: „Ich brauche das Geld.“ Die Frau stand neben ihm. Er meinte: „Erst sollst du arbeiten und heute Abend gebe ich dir Geld.“ Ich entgegnete: „Nein, ich möchte jetzt das Geld von letzter Woche haben. Dann fange ich an zu arbeiten.“
Darüber war der Chef verärgert und wurde laut: „Ich gebe dir überhaupt kein Geld. Entweder arbeitest du oder du gehst direkt nach Hause.“ Ich blieb aber stehen. „Gib mir erst das Geld, dann fange ich an zu arbeiten. – Ruf doch die Polizei. Ich bleibe hier stehen. Und, wenn du die Polizei rufst, erkläre ich der Polizei, dass du mir kein Geld gegeben hast.“ Dann zog er sich mit seiner Frau zurück und beriet sich mit ihr. Ich sah, wie sie miteinander diskutierten.
In diesem Augenblick hatte ich vielleicht Glück. Ich sah, wie einige Leute zum Essen herein kamen. Vorher hatten sie mich ausgeschimpft und hatte ein ganz anderes Gesicht gezeigt. Und auf einmal, als sie die Gäste sahen, nahmen sie den Kopf nach unten, sagten „Guten Tag“ und wechselten wie ein Chamäleon von einer Sekunde auf die andere ihren Gesichtsausdruck. Und ich wiederholte meine Forderung in etwas härterem Ton und streckte meine Hand dabei aus: „Gib mir das Geld! Oder soll ich die Polizei anrufen?“
Da hörten sie die Schritte von weiteren Gästen, die die Treppe herauf kamen. Und der Chef machte sein Portemonnaie auf und drückte mir 250 Mark in die Hand. Der Koch hatte seine Luke aufgemacht und beobachtete, was draußen passierte. Ich nahm das Geld und ging schnell die Treppe hinunter. Ich wollte hier nicht mehr arbeiten. Unten holte ich tief Luft, weil ich nun befreit war.
Ich war befreit, nahm meinen Bus und fuhr nach Hause. Und auf dem Weg fing ich wieder an, mit mir zu reden. Eine Stimme sagte: „Geld brauche ich unbedingt und ich muss auch arbeiten“ Die andere Stimme sagte zu mir: „Von dieser Schlange will ich aber kein Geld annehmen.“ Ich hatte schon vorher gehört, dass die Chinesen sehr geizig sind. Aber jetzt habe ich es am eigenen Leib erlebt. So kam ich in Eiserfeld an der Bushaltestelle an und stieg aus.
Auf den letzten Metern blieb ich an einer Ecke stehen und überlegte: „Wenn ich jetzt nach Hause gehe, fragen die anderen: Warum bist du nach Hause gekommen? Du hast doch gearbeitet. Du bekommst doch 50 Mark dafür. Diese Arbeit musst du doch behalten.“ Solche Diskussionen wollte ich nicht. Dazu hatte ich keine Nerven. Ich war auch froh, dass ich in Indien nicht Bescheid gesagt hatte, dass ich Arbeit habe. Sonst müsste ich denen auch erklären, wie alles abgelaufen ist.
Am Ende nahm ich meinen Mut zusammen und sagte mir: „Ich gehe einkaufen.“ Ich ging in den Aldi und kaufte von dem günstigen Bier 20 Dosen. Mit der ganzen Tüte voll Bier setzte ich mich am Fluss in Eiserfeld auf eine Bank und trank in 15 Minuten fünf Dosen Bier. Ich war halb besoffen und konnte jetzt den Mut fassen, mit der Situation umzugehen.
Das restliche Bier nahm ich in der Tüte mit und ging nach Hause. Die Kollegen schauten mich überrascht an. „Du warst doch auf der Arbeit. Ist alles okay? Warum bist du denn zurück gekommen?“ Ich erklärte ihnen: „Ich will nicht mehr arbeiten. Ich habe mit dem Chef herumgestritten. Er wollte mir meinen Lohn nicht bezahlen.“ Einige meinten: „Das ist doch in Ordnung. Wenn er dir diese Woche das Geld nicht gibt, dann hast du wohl möglich zwei Wochen ohne Geld gearbeitet. Besser ist, sein Geld zu nehmen und jetzt zu gehen, als wenn es zu spät ist.“ Ein anderer sagte aber: „Ich habe selber keine Arbeit. Und du hast doch gesagt, du wärst auch bereit für 40 Mark zu arbeiten. Das ist doch egal. Wir sitzen sowieso den ganzen Tag hier zuhause.“ Ich entgegnete ihm: „Nein, du kannst ja gerne dahin gehen, wenn du arbeiten willst. Ich arbeite bei denen nicht mehr.“
Dann legte ich ihnen die Tüte hin. Einer schaute hinein und sagte: „Aha.“ Er nahm eine Dose Bier heraus und alles war vergessen. Als die Tüte leer war, ging ein anderer los und brachte noch einmal 20 Dosen mit. Um 12 Uhr mittags fingen wir an zu trinken und abends waren fast alle betrunken. Um 10 Uhr machte ich mir zu essen. Dann lag ich im Bett wie ein Brett und schlief fest und tief.
Als ich am nächsten Tag aufstand, war es schon 9 Uhr. Auf der einen Seite quälten mich Kopfschmerzen vom Bier-Trinken. Auf der anderen Seite war ich sehr erleichtert und befreit, dass ich nicht noch einmal in diese Hölle musste. Den ganzen Tag lümmelte ich herum und überlegte hin und her. Ich wusste, dass ich auf jeden Fall weiter Arbeit suchen sollte. Am nächsten Tag nahm ich in der Frühe den Bus und war schon in Weidenau. Ich erinnerte mich an das Restaurant hinter den Schienen – an das Gartenhaus. Da wollte ich anfragen, ob sie für mich Arbeit haben.
Wie geplant ging ich im 11 Uhr dorthin. Vor dem Tor fragte ich mich, wie ich reden sollte. „Wie frage ich den Chef, wenn ich ihn treffe?“ Da kam eine gut gekleidete Frau und stellte sich neben mich ans Tor und rauchte. Ich fasste meinen Mut zusammen und sprach sie an: „Guten Tag.“ Sie war sehr freundlich und antwortete: „Ja, guten Tag, bitteschön.“ Und ich fragte sie: „Wissen Sie, wo der Chef ist?“ Sie antwortete: „Der Chef ist nicht da. Der Chef ist mein Mann. Kann ich Ihnen behilflich sein?“ Und ich spulte die Worte herunter, die ich vorher auswendig gelernt hatte: „Ich suche Arbeit. Ich machen alles sauber. Ich machen Spülen – kein Problem. Auch schwere Arbeit – kein Problem.“ In einem Atem stieß ich das alles hervor.
Die Frau hörte mein Deutsch an und gab dann Antwort in Englisch. Sie muss gemerkt haben, dass man sich mit mir in Englisch unterhalten kann. Es kann sein, dass ich einige Wort in Englisch gesagt habe. Und ich fing an, in Englisch zu reden. Sie war sehr beeindruckt, wie ich Englisch sprechen konnte. Und sie sagte, dass Sie und ihr Mann morgen um 3 Uhr da seinen. Ich könnte morgen einfach um 3 Uhr vorbei kommen. Und sie fragte mich, wie ich heiße. Ich nannte meinen Namen. Und sie meinte: „Ja, ich sage meinen Mann Bescheid und morgen um 3 Uhr kommst du mal vorbei.“
Ich verabschiedete mich bei ihr und war sehr glücklich. Es sah so aus, dass es hier mit der Arbeit vielleicht klappte. Letzten Monat habe ich mich mit Kollegen unterhalten, die in einen Restaurant gearbeitet hatten. Sie sagten: „Unsere Erfahrung ist: Der beste Arbeitsplatz ist bei den Deutschen im Restaurant. Die Nummer zwei sind die Italiener. Die gehen noch. Dann kommen die anderen Ausländer, bei denen auch die Chinesen sind. Und Nummer vier, die letzten, wenn man anderswo überhaupt keine Arbeit findet, sind die Inder und die Pakistaner. Da arbeitet man nur, wenn man wirklich Probleme hat und in einer Zwickmühle steckt, dass man gar nichts anderes machen kann.“ Und deshalb freute ich mich. „Ich bin an der besten Stelle angekommen. Die sind Deutsche.“
Als ich am Bahnhof ankam, traf ich einen Pakistaner. Der sagte „Salam Aleikum“ zu mir und fragte mich auf Punjabi, ob ich ein Inder wäre. Ich bejahte es. Diesen Pakistaner hatte ich schon einmal gesehen, als ich im Weidenauer Zentrum bei dem Chinesen gearbeitet hatte. Aber ich hatte ihn nie gesprochen. Er fragte mich nach Arbeit. Er ist schon drei Monate in Deutschland und brauchte unbedingt Geld. Deshalb wollte er von mir wissen, ob er irgendwo Arbeit finden könnte. Und er sagte: „Wenn ich einen Inder oder Pakistaner treffe, frage ich sie immer, ob ich irgendwo Arbeit finden kann. Irgendwann hilft mir Allah und ich finde die Arbeit.“
Ich hörte ihm intensiv zu und kam zu der Ansicht, dass er wirklich ein riesiges Problem hat und Arbeit braucht. Und ich erzählte ihm: „Da hinten gibt es ein chinesisches Restaurant. Da habe ich zwei Wochen lang gearbeitet. Da kannst du fragen.“ Ich musste ihm genau erklären, wo dieses Lokal lag. Und ich gab ihm den Rat: „Wenn du dort arbeitest, nimmst du von ihnen täglich das Geld. Und sprich das richtig mit dem Essen ab. Und der Koch nimmt von den Resten der Gäste und tut sie in den Kühlschrank. Wenn du dort Essen nimmst, machst du es dir entweder selber. Oder, wenn der Koch es macht, musst du aufpassen. Die werfen alles zusammen.“ Dann fragte er mich, ob sie auch mit Schweinefleisch arbeiten. Ich antwortete: „Das weiß ich nicht genau. Ich esse sowieso weniger Fleisch. Ich denke allerdings schon, dass sie auch Schweinefleisch verarbeiten.“ Da wurde er immer stiller. Aber er sagte: „Egal, ich mache das trotzdem. Ich brauche Arbeit.“ Und ich sagte ihm noch: „Ich zeige dir, wo das ist und gehe mit dir ein Stück. Aber dahinten an der Ecke bleibe ich stehen, damit der Chef mich nicht sieht. Wenn er dich mit mir sieht, gibt er dir die Arbeit nicht, weil ich mich mit ihm gestritten habe und ihm mit der Polizei gedroht haben.“ Ich erzählte ihm auch, dass ich 50 Mark pro Tag bekommen habe und dass ich weit weg wohne und zweimal den Bus wechseln musste. Da meinte er: „Ich könnte in den Pausen nach Hause gehen. Ich wohne zwei Straßen weiter in einem Heim.“
Er ging die Treppe hoch und ich wartete gespannt: „Jetzt will ich mal wissen, was er mir berichtet, wenn er zurück kommt.“ Nach zehn Minuten kehrte er zurück und war sehr glücklich. Er sagte: „Vielen Dank, dass du mich auf diese Arbeit hingewiesen hast. Aber der Chinese hat mich gefragt, wo ich herkomme. Und ich habe gesagt, dass ich aus Pakistan komme. Und der Chinese hat gesagt: Hier hat einer aus Bangladesch gearbeitet und ein Inder. Wenn du ein Inder bist, dann will ich dich nicht.“ „Nein, ich bin kein Inder, ich bin ein Pakistaner“, hatte er geantwortet. Und er freute sich richtig, dass er morgen um 10 Uhr bei dem Chinesen anfangen konnte.
Und er sagte: „Warte, ich hole zwei Flaschen.“ Und ich fragte mich, was der mit den Flaschen will. Da kam er mit zwei Cola-Flaschen an. Deshalb fing ich an zu lachen. Und er fragte: „Warum lachst du denn?“ Ich meinte: „Ich habe mich schon gefreut. Als du sagtest: Ich hole zwei Flaschen, dachte ich, du bringst zwei Flaschen Bier.“ Da musste auch der Pakistaner lachen: „Im Anfang, als ich meinen Asylantrag gestellt haben, waren in der Asylunterkunft auch viele Inder. Und bei denen bedeutete „Flasche“ auch immer Bier oder Whisky. Die sind alle nette Leute. Aber die haben da gesoffen.“ Aber er hätte wegen seines Glaubens nie Alkohol getrunken und wollte das auch nicht tun. Jeder könnte machen, was er wolle. Er trinkt das auf jeden Fall nicht.
Dann nahm er einen Zettel aus seiner Tasche und schrieb seine Adresse und seine Telefonnummer darauf. Und ich sagte ihm auch meinen Namen und gab ihm meine Telefonnummer. Ich erinnere mich noch daran. Er hieß Rachman. Dann verabschiedete ich mich von ihm und wünschte ihm alles Gute. Er bedankte sich und meinte: „Auch für mich wird Allah alles gut machen.“
Dann bestieg ich den Bus. Als ich zuhause bei meiner Unterkunft angekommen war, fragten meine Kollegen: „Wo bist du gewesen? Du hast uns doch gar nicht gesagt, dass du weg wolltest. Wir haben schon gedacht, du hast eine Freundin, weil du uns gar nicht sagst, wohin du gehst.“ Aber ich verriet es ihnen nicht, dass ich mich wegen einer Arbeit vorgestellt hatte. Ich wusste ja nicht, ob es morgen klappt. Wenn es nicht gelingt, sagen sie wieder: „Du willst eigentlich gar nicht arbeiten.“