Ich war schon einige Wochen in Siegen. Und nach einigen Strapazen gab uns die Stadt Siegen die Erlaubnis, zur Schule zu gehen. In Indien war ich zur Universität gegangen. Und jetzt sollte ich also wieder in die Schule. So stellte ich wieder meine Sachen zusammen und fing mit einer neuen Lernerfahrung an.
Die deutsche Lehrerin war sehr freundlich. Sie lachte oft – auch wegen Kleinigkeiten. Deswegen hatten wir auch Lust, dort hin zu gehen.
Manche Wörter waren ähnlich wie im Englischen, manche anders. Aber, was mir zu schaffen machte, waren „ä, ö und ü“, wo die Punkte oben drauf sind. Wir wussten nicht, wie wir den Mund und die Zunge bewegen sollten, um diese Laute heraus zu bekommen. Und wenn wir das nicht aussprechen konnten – auch nicht nach mehreren Versuchen -, hat die Lehrerin manchmal laut gelacht. Und sie meinte, sie wolle uns nicht demotivieren. „Aber es hört sich lustig an,“ sagte sie.
Nach vier Wochen Schule, verstand ich langsam einiges. Wenn sich die Leute unterhielten, konnte ich ahnen, worum es da ging. Um das zu üben, hörte ich den Leuten in den Geschäften und anderswo zu. Als ich einkaufen ging, konnte ich schon fragen, was es kostete und wo etwas war. Und falls es gar nicht ging, konnte ich immer noch Englisch reden.
In unserer Klasse waren 30 Schüler. Es waren Araber, Pakistaner, Afrikaner, Libanesen, Iraner. Und einer von ihnen war aus Bangladesch. Er hatte schon zwei Jahre in Deutschland gelebt. Dann ist er abgeschoben worden. Nach zwei Monaten Aufenthalt in Bangladesch, so erzählte er mir, ist er schon wieder hier hin gekommen. Er konnte schon vorher etwas Deutsch. Ich erinnere mich gut an ihn. Er hieß Raschid Soman Iqbal. Ein kleiner, sehr schmaler Mann – aber sehr scharfsinnig. Er schaute sich stets aufmerksam um und bemerkte alles, was im Klassenzimmer geschah.
Mit Iqbal befreundete ich mich. Er sprach auch Hindi. In Pakistan gibt es Hindi als zweite Sprache. Und auch ich habe das in der Schule gelernt. Er erzählte mir von seinem ersten Aufenthalt in Deutschland. Damals arbeitete er in einem Restaurant. Und er arbeitete auf Feldern und pflückte Erdbeeren und Gurken. Dadurch konnte er etwas Geld sparen. Ein anderer sagte mir ganz leise ins Ohr: „Ja, der hat schon 20.000,- Mark nach Hause geschickt. Das hat er geschafft.“
Die Art, wie er Hindi sprach, war sehr interessant. Es hörte sich so an, wie wenn die Schweizer Deutsch sprechen. Sie ziehen auch die Vokale so in die Länge. Und manchmal hört sich das lustig an, obwohl es Deutsch ist. So war es auch mit dem Hindi von Iqbal.
Jeden Abend trank Iqbal Bier, obwohl er Muslim war und das eigentlich nicht durfte. Wenn wir Bier tranken, nahm er mich mit hinter das Haus, wo es keiner sah. Dann nahmen wir unsere Flasche und stellten uns in eine verborgene Ecke. Und er erzählte mir von seinen Erlebnissen.
Besonders interessant fand ich, wie er auf einem Bauernhof gearbeitet hatte. Ich persönlich komme aus einer großen Stadt. Aber in den Sommerferien habe ich Verwandte auf dem Land besucht. Das fand ich schön. Deshalb hatte ich immer Lust, in Deutschland auf einem Bauernhof zu arbeiten und dem Bauern zu helfen. Iqbal hatte das getan. Über mehrere Wochen erzählte er mir seine Erlebnisse aus der Landwirtschaft.
Iqbal hatte auf einem Bauernhof gearbeitet, wo es viele Pakistaner und Inder als Helfer gab. Acht bis 10 Stunden ging die Arbeit pro Tag. 50 bis 60 Mark konnten sie dadurch verdienen. Der Bauer bezahlte das Geld je nach Wunsch täglich oder einmal wöchentlich. Das Leben war umsonst. Der Bauer hatte mehrere Zimmer. In jedem Zimmer standen vier Betten. Manchmal waren einfach Matratzen hingeworfen worden. Und einige schliefen auf den Matratzen. Es gab auch eine riesengroße Küche.
Iqbal bemerkte, als er einige Tage dort beschäftigt war, dass die Bangladeschis immer für sich alleine arbeiteten. Es ging darum, die Erdbeeren zu pflücken, in eine Kiste zu packen und auf einen Wagen zu stellen. Abends kam ein Vorarbeiter und zählte die Kisten und schrieb die Tagesleistung auf. Danach bekam jeder sein Geld. Wenn einer weniger gearbeitet hatte und weniger Kisten geschafft hatte, bekam er halt weniger.
Interessant fand Iqbal, die Inder dabei zu beobachten. Die Inder arbeiteten zusammen. Sie waren neun Leute. Einer pflückte die Erdbeeren schnell, der andere sammelte sie zusammen. Einer legte sie in die Kisten und einer stapelte die Kisten auf Paletten. Die Inder arbeiteten als Team zusammen.
Iqbal fiel auch auf, dass einer von den Indern immer zuhause blieb. Der machte für die andere Frühstück. Um 8 Uhr bekam jeder so sein Frühstück und konnte gesättigt auf das Feld gehen. Wenn sie mittags wieder kamen, standen die Teller schon da und das Essen war fertig und sie konnten zusammen essen. Wenn sie abends nach Hause kamen, hatte der eine wieder Essen auf den Tisch gebracht. Er spülte auch die Teller und war für das Wäsche-Waschen zuständig und für das Aufräumen der Zimmer. Er machte eben für alle den Haushalt.
Iqbal spach auch etwas Punjabi. Und so konnte er die Inder verstehen, was sie nicht wussten. Sie dachten: „Der ist aus Bangladesch und kennt unsere Sprache nicht.“ Es machte Iqbal besonderes Vergnügen, sie so heimlich zu belauschen.
Einer der Inder war älter. Er war etwa 50 und hatte einen grauen Bart. Sie nannten ihn alle „Chacha“. Das heißt in Punjabi „Onkel“. Der machte auf dem Feld auch schon mal Pause. Alle arbeiteten und er durfte schon mal da sitzen. Iqbal beobachtete, dass der Chacha auch schon mal später kam. Und sogar die Pakistani begrüßten ihn freundlich. Chacha wurde wirklich wie ein Onkel respektiert.
Iqbal fiel auf, dass die Punjabi und die Inder große Hände hatten und große Füße. Er selber war eher kleiner. Aber diese großen und schweren Menschen unterschieden sich von ihm. Zwei von den Indern stellten sogar ihre Schuhe an die Seite und arbeiteten barfuß. Es sah für ihn so aus, als wenn sie ein Leben lang auf den Feldern gearbeitet hätten.
Die Inder hatten auch Spaß miteinander. Sie redeten und lachten zusammen. Die Bangladeschi hielten sich dagegen jeder für sich. Jeder packte seinen eigenen Kisten und arbeitete alleine. Einer von ihnen hatte seine Kiste nicht so voll und füllte sie mit Erdbeeren von einem anderen Bangladeschi. Da gab es Streit und sie fingen an, sich gegenseitig sehr laut zu beschimpfen. In diesem Augenblick kam der Bauer und wurde ärgerlich. „Wenn einer streitet oder handgreiflich wird, fliegen beide raus“, sagte er. „Dann könnt ihr beide nach Hause gehen.“ In Deutschland ist das so, dass es bei einem solchen Streit gar nicht interessiert, wer etwas falsch gemacht hat.
Nach einigen Tagen hatte Iqbal furchtbare Rückenschmerzen. Am Morgen ließ er dem Bauern mitteilen, dass er heute nichts machen kann. „Ich habe mit dem Rücken gewaltige Probleme.“ Weil er an diesem Tag zuhause war, kam er auch in die Küche. Die war groß und hatte 15 Herdplatten, wo sie alle kochten. Als er in die Küche kam, saß da auf einmal der Chacha und schlürfte Tee. Iqbal begrüßte Chacha freundlich. Der Chacha zwirbelte seinen langen Bart und fragte den Iqbal: „Bandu“ – das heißt auf Bangladeschi „Freund“ – „willst du Tee trinken?“ Iqbal bedankte sich für die Einladung und sie tranken zusammen Tee.
Es war da noch ein anderer junger Mann. Den nannten alle „Pappu“. Er war mit Töpfen und Pfannen beschäftigt. Und der Chacha rief den Pappu: „Pappu, dem Iqbal hast du Tee gegeben. Hast du noch ein Omelette übrig?“ Und Pappu ging an die Schränke und plötzlich hatte Iqbal einen Teller vor sich stehen. Darauf waren zwei Toast und ein dickes Omelette. Iqbal war erstaunt. Das Omelette war ziemlich scharf und zwischen den Toast fand er grüne Chili. Es schmeckte ihm sehr gut. So ein gutes Omelette hätte er noch nie in seinem Leben gegessen. Und Iqbal bedankte sich bei Pappu: „Das Omelette hat super geschmeckt.“
Chacha bemerkte: „Pappu ist der beste Koch von uns allen. Er hat in Dubai fünf Jahre lang als Koch gearbeitet.“ Als Iqbal Pappu ansah, bemerkte er, wie stolz Pappu darauf war, dort Koch gewesen zu sein.
Chacha ging an diesem Tag um 11 Uhr zu den anderen auf das Feld und um 1 Uhr kam er mit ihnen zurück zum Mittagessen. Und als die anderen Inder wieder gingen, blieb der Chacha einfach in der Küche sitzen. Iqbal verstand nicht, warum Chacha nicht mit zur Arbeit gegangen war. Er lud Iqbal ein. „Heute brauchst du nicht zu kochen. Du bist doch alleine. Und der Pappu macht sowieso die ganze Küche. Du bekommst auch etwas von uns.“ Und, als die anderen Inder weg waren, drückte der Pappu ihm noch zwei Fladenbrote die Hand und füllte einen Teller Linsensuppe ein. Es mundete dem Iqbal sehr. Pappu zeigte mit der Hand zu den Gläsern. „Hol dir Wasser dazu!“ meinte er. Und der Chacha sagte: „Da hinten ist auch eine Kiste Bier. Wenn du willst, kannst du auch Bier haben.“ Und er lachte dabei.
Kaum war er fertig, kam der Bauer dazu. Chacha saß da und der Bauer gab ihm die Hand. In der Hand hatte er ein kleines Heft. Iqbal wollte gehen. Doch der Chacha meinte: „Wenn du willst, kannst du auch sitzen bleiben.“ Pappu machte sofort zwei Tassen Tee und gab eine dem Bauern und eine dem Chacha. Beide kannten sich schon länger und unterhielten sich, was Iqbal bemerkte. So erfuhr Iqbal, dass der Chacha dem Bauern immer die Leute besorgte. Er sammelte die Inder, die arbeiten wollten. Und je nach Saison für Erdbeeren oder Blumenkohl oder Spargel, warb Chacha für ihn die nötigen Leute an. Jetzt schauten beide in ein Heft und rechneten etwas aus. Es ging um einen Extra-Lohn. Iqbal fand heraus, dass der Bauer dem Chacha pro Tag 20 Mark extra gab für die Leute, die dieser besorgt hatte. Der Bauer brauchte Chacha. Allein hätte er Schwierigkeiten, genug Leute zusammen zu bekommen. In der Summe bekam Chacha 500,- Mark, die dieser schnell in seinen Innentasche steckte. Der Bauer fragte ihn noch nach weiteren Arbeitern, weil fünf aus Rumänien nicht gekommen seien.
Als der Bauer gegangen war, zog sich Chacha in sein Zimmer zurück. Und er kleidete sich dort neu an. Iqbal staunte, als er in wieder herauskommen sah. So hatte er Chacha noch nie gesehen. Chacha hatte einen feinen Mantel an und gute Schuhe, sodass er auf einmal wie ein Chef aussah. Er nahm seine Tasche in die Hand und wollte gehen.
Vorher rief er noch Pappu: „Pappu, höre zu, ich bin jetzt weg. Vielleicht komme ich in zwei Tage wieder. Der Bauer braucht Leute und ich werde sehen, ob ich welche finde. Du passt auf. Wenn die anderen Inder abends ins Bett gehen, dürfen sie höchstens zwei Flachen Bier trinken. Wisky dürfen sie nur am Samstag trinken. Sonntags haben wir frei. Der Bauer geht sonntags in die Kirche. Er will nicht, dass sonntags gearbeitet wird.“
Iqbal war sich nicht sicher. War das eine freundschaftliche Ansage oder war das ein Befehl? Chacha nahm auf jeden Fall seine Tasche und war dann weg. Jetzt wusste Iqbal ganz genau, was hier ablief. Der Chacha besorgte die Leute, sammelte alle Inder und besorgte ihnen die Arbeit. Und, wenn er konnte, arbeitete er auch mit ihnen zusammen. Das Geld, das sie pro Tag verdienten, wurde genau gleich geteilt egal, ob einer schnell arbeitete oder langsam. Und Chacha bekam zusätzlich Geld vom Bauern dafür, dass er die Arbeitskräfte herbei holte.
Wenn der Chacha nicht da war, tranken die Inder abends einige Bier und gingen auf ihr Zimmer. Da hatten sie einen Kassettenrecorder, steckten ihre Kassetten hinein und hörten laut Musik. Irgendwann war dann allerdings auch Ruhe.
Mittlerweile ging es Iqbal besser und er konnte wieder auf das Feld. Am Samstag bemerkte er, dass die Inder einen besonderen Glanz in den Augen hatten. Einer sagte zum anderen: „Heute ist Samstag, mein Freund, heute legen wir los. Heute will ich ein paar Bier saufen und später dann auch Whisky.“ „Wie viele Flaschen Whisky haben wir überhaupt?“ Da meinte ein anderer: „Der Chacha weiß das nicht. Da hinten an der Bettkante sind einige Flaschen versteckt. Sag davon den anderen nichts!“
Mit diesen frohen Erwartungen kamen sie am Samstag Abend nach Hause. Sie waren so glücklich, als hätten sie im Lotto gewonnen. Und sie luden Iqbal ein. „Willst du auch Whisky trinken mit uns? Ich weiß, du bist Muslim. Das ist haram für dich. Aber ab und zu geht es doch. Da achtet keiner drauf. Komm einfach vorbei.“ Iqbal schaute sich um, wo die ganze Bangladeschis standen. Die hatten aber nichts davon bemerkt. Und dann sagte er: „Ja, ich komme nachher in eurem Zimmer vorbei.“
Pappu gab ihm ein ungefragt ein Glas in die Hand, schüttete etwas Whisky hinein und fragte ihn, ob er Cola oder Wasser dazu wolle. Der Iqbal wollte Cola. Pappu stellte die Flasche Cola gleich dabei. Und Iqbal füllte sein Glas randvoll mit Cola. Der Whisky war so bitter für ihn, dass er ihn sonst nicht trinken konnte. Die anderen haben einfach Wasser in ihre Gläser gefüllt und Whisky mit Wasser getrunken. Später kam Pappu mit einer Schüssel voller Hähnchenschenkel. Sie griffen hinein und jeder nahm einen Hähnchenschenkel. Der Pappu legte ihnen eine Serviette dazu. Jeder nahm eine Serviette und sie begannen, mit den Händen zu essen.
Das war sehr eindrucksvoll für Iqbal. Als er mir diese Geschichte erzählte, empfand ich, dass er immer noch den Geschmack von Whisky und Curryhähnchen in seinem Mund hatte. Und Iqbal fuhr fort, wie sie dann die Kassetten in ihren Recorder schoben und die Musik anmachten. Kaum hatten sie einige Gläser Whisky getrunken, fingen zwei an zu tanzen. Iqbal hatte viele indische Filme gesehen und wusste, wie die Nordinder tanzen. Und er bemerkte, dass die beiden das offensichtlich ganz gut konnten. Iqbal schaute an die Zimmerwände, auf die er zuvor gar nicht geachtet hatte. Dort sah er Bilder von Schauspielern. Da war ein Salman Khan, Sunny Diol und eine Brienga Chobra, eine indische Schauspielerin.
So wurden sie besoffen. Irgendwann sagte der Pappu: „Eij, jetzt müssen wir auch essen. Seid nicht so laut. Wenn der Bauer das bemerkt, dann sagt er dem Chacha Bescheid und der Chacha kann gut rummeckern. Kommt, wir müssen etwas essen.“ Sie schlichen in die Küche. Pappu gab jedem einen Teller, füllte Reis auf und gab den Rest von den Hähnchen aus. Es lag da auch ein Stapel Fladenbrote, die Pappu selbst gemacht hatte. Und jeder nahm, wie er wollte.
Iqbal stand ganz hinten. Und Pappu gab auch ihm einen Teller und sagte: „Schaufel rein und iss was. Nimm Reis. Ich weiß, dass ihr aus Bangladesch gerne Reis esst.“ Iqbal nahm alles und begann zu essen. Da rief einer: „He Iqbal, du kannst auch einen Löffel nehmen. Gibt es in Bangladesch keine Löffel mehr? Esst ihr noch alles mit den Fingern?“ Und sie fingen an zu lachen. Iqbal gefiel dieser Witz nicht. Er wollte aber nichts sagen, weil sie so gastfreundlich waren und er doch so viel bekommen hatte. Deshalb wollte er nicht anfangen, zu nörgeln.
Am nächsten Tag war Sonntag und Chacha kam gegen Mittag mit drei Leuten zurück. Einer hatte eine Tasche in der Hand und ein Inder hatte eine Alditüte, in die er seine Sachen verpackt hatte. Aus dem, wie sie angezogen waren, erkannte man, dass sie noch nicht so lange in Deutschland waren. An ihrer Kleidung und an ihrem Geruch konnte man das merken.
Chacha stellte sie den anderen Indern vor und bedeutete, dass sie ihre Taschen auf die Seite stellen sollten. In dem Moment kam der Bauer mit einem Schlüsselbund in der Hand herein. Er ging die Treppe hinauf und öffnete ein neues Zimmer. „Dafür habe ich nur einen Schlüssel. Die, die hier gewohnt haben, haben einen Schlüssel verloren. Diesen muss ich behalten, bis ich einen neuen nachgemacht habe. Passt also auf.“ Der Chacha konnte diese Worte nicht richtig verstehen. Aber Iqbal hatte es verstanden und das, was der Bauer gesagt hatte, in Hindi übersetzt.
Als der Bauer später weg war, sagte Chacha den Indern, dass sie in das Zimmer gehen sollten. So nahmen sie ihre Taschen und bezogen ihren Raum. Auch hier standen vier Betten. Sie waren richtig glücklich, dass sie jetzt ein Zimmer hatten und sogar richtige Betten.
Als das erledigt war, holte Chacha Iqbal zu sich und meinte: „Iqbal, ich habe dich unterschätzt. Du verstehst ja besser Deutsch als ich. Komm, lass uns Tee trinken.“ Auf einmal stand ich besser da, weil ich auf Deutsch etwas verstanden hatte, was sie nicht übersetzen konnten. Und so bestellte Chacha bei Pappu zwei Tassen Tee. „Hei, Pappu bring mal Tee. Für mich nicht so viel Zucker. Iqbal musst du fragen, wie viel er will.“ Und Pappu brachte zwei Tassen Tee mit extra viel Milch darin.
Inzwischen waren die anderen Inder herbei gekommen. Sie setzten sich alle an den großen Tisch. Chacha holte sein kleines Buch hervor. Darin hatte er aufgeschrieben, wie viele Kisten sie pro Tag geschafft hatten. Und Chacha sagte: „Ich gehe gleich zum Bauern und hole das Geld. Aber ihr wisst ja, jeder muss mir 50 Mark davon geben. Davon gehe ich und kaufe die Lebensmittel.“
Als Chacha zurückkam, stellte er sich in die Küche und verteilte jedem sein Geld. Da waren die Inder aller glücklich. Sie waren froh. Jeder erhielt ja fast 600 Mark. Das waren 100 Mark pro Arbeitstag. Iqbal hingegen hatte auch gebuckelt und war gelaufen. Aber er bekam nur 360 Mark. Er hatte nämlich alleine weniger Kisten geschafft.
Und Pappu war seht stolz darauf. Er kam zu Iqbal und sagte: „Hei, Bandu, schau mal, 600 Mark habe ich in der Woche verdient. Ich war in Dubai. Da habe ich 600 Mark in drei Monaten verdient. Was will ich in Dubai? Schau mal, in Deutschland habe ich schönes Wetter. Du kannst zu essen kaufen, was du willst. Es gibt schöne Frauen mit weißer Haut. Und die sind wunderbar. Wenn man eine Frau anschaut, lächelt sie zurück. Was war in Dubai? Überall waren sie alle verschleiert. Und, wenn man dort eine Frau anschaut und der Mann dabei ist, dann schaut der dich an, als wenn er dich umbringen wollte. Da traut man sich gar nicht, eine Frau anzuschauen.“ Und so erzählte Pappu und erzählte.
Und Pappu fuhr fort: „Damit er nach Deutschland kommt, hat er sein Land in Indien einem Bauern gegeben, um Kredit zu bekommen. Jetzt muss er 600 Mark dahin schicken, um den Kredit abzubezahlen.“ Er machte seine Arbeit hier gerne. Wenn er noch ein paar Monate so weiter verdient, kann er das Land seiner Eltern wieder befreien. „Aber eines ist sicher. Nach Dubai gehe ich nie, nie wieder. Nicht mal meinen kaputten Schuh schicke ich nach Dubai.“
Iqbal nutzte die Gelegenheit und nahm 20 Mark aus seiner Tasche und drückte sie Pappu in die Hand. „Danke, du kochst ja gut und ich darf bei euch mit essen,“ sagte er. Pappu schaute ihn an. „Du musst das nicht,“ entgegnete er. Trotzdem nahm er das Geld an und steckte es schnell ein, damit keiner es merkte. In den nächsten Tagen gab er dem Iqbal immer etwas zu essen, wenn der in der Gegend war. Als sie alle am Abend vom Feld kamen, nahm Pappu Iqbal an die Seite und sagte: „Da ist der Kühlschrank von den Bangladeschis. Da habe ich dir Essen hinein gestellt. Den Teller und die Schüssel kannst du einfach spülen und bei uns in den Schrank tun.“ Iqbal war sehr froh, dass er an diesem Abend nicht kochen musste.
Die Zeit mit den Indern war für Iqbal wunderbar. In den drei Wochen, die er dort gearbeitet hatte, konnte er 300 Mark sparen. Die Arbeit war sehr hart. Seine Aufenthaltserlaubnis war fast abgelaufen. Und er musste in einer Woche zum Ausländeramt, um sie verlängern zu lassen. Deshalb verabschiedete sich schließlich von ihnen allen.
Am Ende kam Pappu noch einmal zu ihm heraus, umarmte ihn und gab ihm seine Adresse, wo er registriert war. „Jetzt bin ich hier, um zu arbeiten und Geld zu verdienen. Aber, wenn ich zurück bin, kannst du gerne vorbei kommen und mich besuchen. Oder du fragst einfach, wo Pappu ist. Die Inder kennen mich alle da in der Umgebung.“ Iqbal nahm den Zettel und steckte ihn in seine Tasche.
Und Iqbal dachte: „Man hat ja Vorurteile gegenüber anderen Völkern und anderen Ländern. Aber die Inder waren freundlicher zu mir als die Bangladeschis. Die Bangladeschis haben nicht für mich gekocht oder mich eingeladen. Der Pappu hat für mich gesorgt wie eine Mutter. Seit ich aus Bangladesch gekommen bin, war er der erste Mensch, der überhaupt gefragt hat, ob ich gegessen habe oder nicht. Und er hat mir erlaubt, etwas mitzunehmen, wenn ich es brauche.“
Als Iqbal zum Bus ging, überlegte er weiter: „Mit den Bangladeschis habe ich mich nie richtig verstanden, die Pakistaner haben mich nie zum Essen eingeladen. Die Punjabis, die da waren, haben einen anderen Glauben. Von deren erstem Guru habe ich schon mal gehört. Das ist der Babananak. In Bangladesch sagen sie, dass er ein Heiliger war. Ich habe im Fernsehen auch schon mal ein Bild von ihm gesehen. Und jetzt habe ich diese Menschen erlebt. Sie sind wie alle anderen auch. Sie haben mir nie das Gefühl gegeben, dass ich aus einem anderen Land komme oder einen anderen Glauben habe. Und jetzt wollen sie sogar mit mir von einem Teller essen, was die anderen eher nicht machen werden.
Durch die ganzen Geschichten, die ich von Iqbal gehört habe, bekam ich dann auch Lust, hier irgendwo auf einem Bauernhof zu arbeiten. Wenn ich die Gelegenheit hatte auf dem Weg in andere Städte, hielt ich gerne unterwegs an und stellte mich hin und roch die Luft, wo die grünen Felder waren. Und wenn ein Trecker vorbei fuhr, gefiel mit das richtig gut. Und ich dachte: „Wenn ich eine Gelegenheit finde, werde ich irgendwo auf einem Bauernhof arbeiten. Dazu habe ich Lust.“