Die Blumen

Acht Wochen gingen Iqbal und ich miteinander in die Schule. Iqbal erzählte mir alles Mögliche. Er hat redete gerne und ich hörte ihm gerne zu. Manchmal tranken wir dabei auch zusammen Bier. Wir unterhielten uns auf Hindi. Iqbal benutzte einen Mix aus Hindi, Bengali und Punjabi. Das war sehr interessant, zu hören, und manchmal musste ich deshalb schmunzeln. Aber ich verstad alles, was er mir sagen wollte. Und nach den acht Wochen in der Schule, streute er auch schon mal ein Wort Deutsch mit ein.

Einen Abend saßen wir wieder zusammen. Da begann Iqbal: „Du suchst doch immer Arbeit. Ich habe Kollegen in Freiburg deinetwegen gefragt. Wenn die Möglichkeit besteht, gehst du dort hin. Du sitzt doch sonst den ganzen Tag hier herum.“ „In der Nähe von Düsseldorf, habe ich gehört, dass es dort auch große Bauernhöfe gibt. Dort kann man 50 bis 100 Mark pro Tag verdienen. Wenn man es schafft, da zu arbeiten, braucht man nur 6 Monate zu arbeiten und man hat 10.000 Mark in der Tasche. Das wäre gut.“

So kamen wir ins Gespräch. Iqbal meinte „Ich habe mich gestern mit einem Bangladeschi in Köln unterhalten. Und der sagte mir, dass er Blumen verkauft.“ Ich fragte: „Was für Blumen?“ Iqbal berichtete: „Hast du das nicht gehört? Die kaufen Blumen, dann gehen sie abends in die Kneipen und fragen die Leute, ob sie Blumen haben wollen. Und sie verkaufen die Blumen für 5 Mark.“ Der Bagladeschi in Köln sagte mir, er macht jeden Tag 70 bis 80 Mark. Nach 4 Stunden hat er 70 / 80 Mark in der Tasche.“ Die Blumen, die meistens gekauft werden, wären rote Blumen oder rosa. Weiß wollte keiner haben und die anderen Farben auch nicht. Es müssten rote Blumen sein, weil rot in Deutschland ein Zeichen von Liebe ist. Deshalb: „Immer rote Blumen kaufen!“

Und ich dachte: „Das ist doch interessant, was der Iqbal hier erzählt. Schauen wir mal.“

In der Nähe gab es einen Markt. Und da kam jede Woche ein Lastwagen aus Holland an. Ich hatte gesehen, dass der Blumen ablädt. Und er hatte auch rote dabei. „Da gehen wir hin und fragen nach,“ nahmen wir uns vor.

Am nächsten Tag bin ich dann mit Iqbal dort hin und wir schauten die Blumen an. Es kam tatsächlich ein Holländer, der Blumen verkaufte. Er betrieb dort auch einen großen Stand. Und wir fragten ihn, ob er auch einzelne Blumen verkaufe. „Ich habe keine Einzelblumen,“ sagte er. „Hier gibt es nur Packen mit 10 oder 20 Stück. So müsst ihr die Rosen kaufen. Einzeln verkaufe ich nicht.“ „Hier, die 20 Rosen kosten 5 Mark. Und die großen roten kosten 6 Mark.“

Mit diesen Informationen liefen wir nach Hause zurück und tauschten uns erst einmal darüber nach. Da meinte Iqbal: „Ich habe die Nase voll. Ich verkaufe jetzt Blumen. Am Freitag gehe ich raus und will Blumen verkaufen.“ Ich war erstaunt, wie schnell er sich dazu entschlossen hatte. Ich hatte etwas Bammel, überhaupt mit den Blumen in der Hand raus zu gehen und etwas zu verkaufen.

Endlich war es Freitag. Freitag Morgen liefen wir zum Markt, wo Blumen verkauft wurden und redeten mit dem Holländer: „Wir wollen 20 Blumen kaufen.“ Und der meinte: „Okay, diese großen 20 Blumen da für 5,- Mark.“

Als wir dann nach Hause kamen mit den großen Blumen in der Hand, waren die andere alle neugierig. „Was macht der Iqbal da? Was haben die vor?“ Und wir nahmen die Blumenbündel auseinander und entfernten die Stachel und die Blätter von den Stängel, damit wir sie besser überreichen könnten. Nach zwei Stunden fingen die Blumen an, zusammen zu fallen. Glücklicher Weise fand ich eine Schüssel, goss Wasser hinein und stellte die Blumen in die Schüssel.

Endlich war es sechs Uhr. Wir hatten die Blumen sauber gemacht und bereit gestellt. Als ich wieder kam, waren die Blumen schon weg. Iqbal hatte sie in die Hand genommen, in eine Tüte gesteckt und war schon los gezogen. „Der letzte Bus kommt um Viertel vor Elf. Damit komme ich zurück,“ hatte er noch gesagt.

Ich wartete die ganze Zeit auf ihn. Und auch die anderen in der Unterkunft hatten es mitbekommen und warteten. Auch sie hatten nichts zu tun. Auch sie wollten sehen, was Iqbal verkaufte und wie viel er verdiente. Viertel vor Acht kam Iqbal zurück. Alle waren erstaunt. Auch ich lief ihm entgegen und fragte: „Iqbal, wie war es denn?“ Ich schaute auf seine Hände und stellte fest, dass die Tüte leer war. Iqbal hatte keine Blumen mehr. Er ging in die Küche und wir alle hinter ihm her. Stolz holte er sein Geld aus der Tasche und zählte es allen vor. „60 Mark in vier Stunden.“ sagte er. „Hast du das gesehen? Alle Blumen sind weg. Die letzten fünf Blumen hat einer sogar komplett gekauft. Die habe ich dann alle für 10,- Mark hergegeben. Ich wollte nach Hause.“ Das ist ja ein super Geschäft. „Hier, schau mal!“ Stolz schob er das ganze Geld zusammen, nahm es vom Tisch und steckte es in die Tasche.

„Morgen ist Samstag, mein Freund,“ meinte er dann. „Wir schauen mal.“

Iqbal hatte mich schon am ersten Tag gefragt, ob ich das mit ihm zusammen machen wollte. Aber ich konnte es nicht. Ich hatte Angst, bei einem solchen Unterfangen mit zu ziehen. Als er aber zurück gekommen war, überlegte ich neu. „60,- Mark sind also möglich. Wenn ich mitgegangen wäre, hätte ich 30 bekommen.“ So sind alle neugierig geworden und fragten auch Iqbal, als sie das Geld gesehen hatten.

Am nächsten Tag, am Samstag, lief ich dann schließlich mit Iqbal zum Blumenhändler. Die anderen schlichen sich hinter uns her, um zu sehen, wo wir die Blumen kauften. Ich konnte sie verstehen, dass sie herausfinden wollten, wo man was kaufen und verkaufen konnte. Sie waren auch den ganzen Tag zuhause und hatten meine Gespräche mit Iqbal verfolgt. Und sie dachten: „In drei bis vier Stunden 20,- Mark in der Tasche zu haben, ist doch gut. Wenn ich 10 Blumen für 5,- Mark verkaufe, habe ich 50,- Mark. Eine Buskarte habe ich sowieso.“

Als Iqbal und ich die Blumen gekauft hatten und zurück gingen, bemerkten wir schon, wie die anderen Inder miteinander redeten und dann zwei von ihnen bei dem Holländer standen. Sie hatten sich wohl auch dort nach den Blumen erkundigt.

An diesem Samstag bestand Iqbal darauf, dass ich mitkommen sollte. Ich wollte ihn nicht enttäuschen und „Nein“ sagen. Und ich bot an, mit ihm bis zum Bahnhof zu gehen. „Und dann sehen wir mal,“ meinte ich. Dort verließ ich ihn.

Nach einiger Zeit kam Iqbal zurück. Er hatte gemerkt, dass die anderen versuchten, ihm sein Geschäft zu stehlen. Als die ihn dann fragten, als er zurück kam: „Na und, wir war es? Hast du die Blumen verkauft?“, machte Iqbal ein betretenes Gesicht. Ich dachte schon, ihm wäre etwas passiert. Doch er sagte: „Nein, heute war es schlecht. Ich bin zum Bahnhof gegangen und war in zwei drei Kneipen und habe nichts verkauft. Und dann habe ich die Polizei getroffen. Die haben die Blumen in meiner Hand gesehen und gefragt, wozu ich die habe.“ „Ja, ich habe halt die Blumen,“ gab ich an. Aber die Polizei hielt mir entgegen: Wir haben dich schon gestern gesehen. Du verkaufst Blumen.“ Und dann musste er seinen Ausweis zeigen. „Du hast sowieso keine Arbeitserlaubnis. Du darfst die Blumen nicht verkaufen.“ Und dann nahmen sie ihm seine Blumen weg. „Alles, was ich getan habe,“ bemerkte Iqbal, „ist zwei Bier zu trinken. Ich war so frustriert. Dann bin ich nach Hause gelaufen. Die Blumen sind weg und kein Geld ist mehr da.“

Und dann schaute Iqbal mich verschmitzt an und zwinkerte mit dem Auge. Ich fragte mich, was er damit meinte. Und später machte er mir ein Zeichen, dass ich mitkommen sollte. Abseits von den anderen flüsterte er mir ins Ohr: „Du bist dumm. Die anderen, deine Freunde, haben mich schon öfters gefragt, ob sie nicht meine Partner werden könnten. Selbst in Siegen haben mich zwei Inder verfolgt und mich beobachtet, in welche Kneipen ich gehe und wie ich die Blumen dort verkaufe. Ich wollte ihnen Angst machen, damit keiner von ihnen dort hingeht. Deshalb habe ich gesagt, dass die Polizei kontrolliert. Jetzt geht keiner.“

Iqbal war an diesem Tag ziemlich ärgerlich über die anderen. Er vertraute mir an, dass er heute für 90 ,- Mark verkauft hätte. „Selbst, wenn ich alle Kosten zusammenzähle und die drei Bier, die ich getrunken habe, abziehe, habe ich trotzdem richtig Geld verdient.“ Ich schaute Iqbal erstaunt an. Es gibt ein Sprichwort in Punjabi, das besagt: „Er ist ein kleiner Mann über der Erde, aber er hat tiefe Wurzeln unter der Erde.“ Er ist raffiniert und schlau. Wie zur Bestätigung nahm Iqbal mich in den Blick und meinte: „Du bist gutläubig. Du erkennst nicht, was die anderen vorhaben und denken.“

Als ich nachts mit meinen Kollegen im Zimmer lag, grübelte ich noch. „Iqbal versteht die anderen besser. Er ist wirklich raffiniert.“ Aber da meldete sich plötzlich einer aus seinem Bett: „Mmm, am Freitag hat Iqbal uns wohl die Wahrheit erzählt, wie er seine Blumen verkauft hat. Aber, was heute angeht, glaube ich ihm nicht alles. Dass die Polizei ihm die Blumen weggenommen hat, das bezweifle ich.“

Am nächsten Morgen sagte Iqbal: „Heute ist Sonntag. Heute verkaufen wir keine Blumen. – Wir haben ja auch keine mehr und können heute keine kaufen. Obwohl, am Sonntag auch die Kneipen bis 10 Uhr voll sind. Wir sagen den anderen, dass wir den Verkauf einstellen.“ „Aber nächsten Freitag gehen wir später auf den Markt und kaufen neue Blumen. Und du kommst dieses Mal mit. Schau mal, die anderen wollten alle mit. Du kommst dieses Mal mit!“

Weil ich immer noch überlegte, bestand er darauf: „Du muss mitkommen! Wir machen das so: Wir kaufen die Blumen zusammen. Wenn wir da sind, bleibst du dann draußen stehen und ich gehe rein. Für mich ist das einfacher. Sonst habe ich das große Paket mit den Blumen in der Hand und es ist schwierig, einem, der eine Blume haben will, diese abzugeben. Wie soll ich die Blume aus dem Paket herausziehen, ohne alles zu beschädigen? Deshalb kommst du mit, bleibst draußen stehen und hältst das große Paket mit den Blumen in deiner Hand. Ich gehe mit zehn Blumen hinein. Wenn ich die verkauft habe, ziehen wir weiter. So können wir vielleicht besser verkaufen und ich bin nicht alleine. Es macht auch mehr Spaß, wenn wir gemeinsam losgehen.“ Schweren Herzens stimmte ich zu: „Okay, so machen wir das.“

Die Woche ging schnell herum. Wir waren jeden Tag in der Schule. Ich überlegte viel, weil ich ja eigentlich nicht Blumen verkaufen wollte. Und dann dachte ich wieder, dass ich mich einfach überraschen lassen sollte. So war Freitag schnell gekommen. Die anderen Inder waren misstrauisch geworden und beobachteten uns. „Was machen die beiden da? Die hängen schon wieder zusammen,“ fragten sie sich.

Am Freitag gingen wir nicht morgens früh zum Blumen-Kaufen, sondern spät am Nachmittag um 4 Uhr. Dieses Mal kauften wir 30 Blumen und nahmen sie mit nach Hause. Wie immer machten wir sie sauber, schnitten sie und packten sie in weißes Papier. Ich musste mir etwas Mut antrinken und ging an mein Versteck, wo ich einige Bier verborgen hatte. Iqbal gab ich ein Bier, nahm selber eine Flasche und steckte eine in meine Jackentasche. Wir liefen so zur Bushaltestelle, um nach Siegen zu kommen, um unsere Blumen zu verkaufen. Ich hatte sehr gemischte Gefühle dabei. Sollte ich schweren Herzens mitgehen oder sollte ich einen Rückzieher machen. Meine Füße wurden immer schwerer. Es kam mir so vor, als hätte jemand ein Tonnengewicht an meinen Füßen befestigt und ich müsste das alles mitschleppen. So schwer fiel es mir, mitzugehen.

Iqbal redete die ganze Zeit. „Du bleibst ja draußen stehen. Aber weißt du, wie man das macht, wenn man reingeht?“ Ich sagte: „Nein.“ „Nun, man sagt erst mal „Guten Abend“. Als nächstes musst du dich umschauen, wo die jungen Frauen und die jungen Männer sitzen. Du musst schauen, ob sie etwas verliebt sind. Und dann musst du fragen: „Kollege, willst du Blumen haben? Guck, deine schöne Freundin, du musst Geschenk geben. Blumen gut. Fünf Mark nur.“ Und dann musst du einfach versuchen, dem Mädchen die Blume in die Hand zu drücken. Wenn sie die in die Hand nehmen, dann hast du schon gewonnen. Dann sind die Männer gezwungen, das Geld rauszurücken. Meistens machen sie das dann.“ „Wenn jetzt einer sagt: „Das ist zu teuer.“ … – Du weiß ja, was „teuer“ bedeutet. Wir waren doch in der Schule. – Wenn einer „teuer“ sagt, dann machst du es billiger. „Vier – vier Mark.“ oder „drei Mark“. Und du musst immer freundlich bleiben, immer lachen und jeden fragen. An jedem Tisch einfach „Guten Tag“ sagen und Wollen Sie Blumen, schöne frische Blumen?“

Ich hörte die ganze Zeit zu. Iqbal war wie eine Kassette. Immer wieder versuchte er mir das Gleiche zu erklären.

Schließlich waren wir in Siegen angekommen. An der ersten Kneipe blieb ich wie besprochen draußen stehen. Ich gab ihm zehn Blumen in die Hand und Iqbal ging hinein. Durch das Fenster schaute ich ihm heimlich hinterher, was er alles machte. Dann stellte ich mich etwas abseits, damit keiner merken sollte, dass ich auch dabei war. Nach einiger Zeit kam Iqbal heraus und schaute mich an. Er hatte keine Blumen verkauft.

Wir liefen zur nächsten Kneipe und es war wieder das gleiche Spiel. Ich hatte das Paket in der Hand, zählte zehn Blumen ab und wünschte ihm viel Glück. Iqbal ging hinein. Als er wieder heraus kam, meinte er: „Irgendetwas stimmt nicht. Ich bekomme meine Blumen nicht verkauft. Weißt du was? Heute habe ich einfach kein Glück. Gott will nicht, dass ich Glück habe. Wir machen das so …“

Ich ahnte, was jetzt passieren sollte. Er sagte: „Wir machen das so: Du gehst in die nächste Kneipe und die versuchst dein Glück.“ Ich weigerte mich: „Wir haben doch besprochen, dass du hinein gehst. Es war nicht die Rede davon, dass ich es machen soll.“ Aber ich konnte mich nicht herausreden und er merkte, dass ich nicht wollte. Deshalb machte er ein Angebot: „Wir machen das so: Einmal gehst du und einmal gehe ich. Dann geht die Zeit schnell herum und jeder probiert sein Glück.“

Ich schaffte es nicht mehr, mich heraus zu reden. Ich fühlte mich wie versteinert. Ich hatte gar kein Gefühl mehr. Mein ganzer Körper war wie ein Stein. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. „Ja, gut,“ sagte ich schweren Herzens. „Ja, gut.“

Dann gab er mir die ganzen Blumen in die Hand und das Spiel lief anders herum. Und er gab mir Kleingeld. „Das Kleingeld musst du in die Tasche stecken. Das ist einfacher, wenn dir einer zehn Mark gibt.“

Ich ging also schweren Herzens in die Kneipe hinein und ließ meine Blicke schweifen. Am ersten Tisch saß ein junges Pärchen. Ich sah sie erst schweigend an und streckte die Blumen in ihre Richtung. Sie lächelten mich freundlich an. Dann habe ich gefragt: „Wollen Sie Blumen?“ Der Mann schaute mich an und fragte: „Was kostet das?“ Ich wusste es nicht mehr und ich wollte auch nicht so teuer verkaufen. Deshalb sagte ich: „Drei Mark“. Er nahm die Blume, überreichte sie lächelnd seiner Freundin und gab mir fünf Mark. Ich nahm die fünf Mark, steckte sie in die Tasche und wollte ihm Wechselgeld zurück geben. Er winkte ab. „Es ist okay.“

Ich war überrascht. Eigentlich wollte ich drei Mark und jetzt hatte ich fünf. So zog ich weiter zu den anderen Tischen. Ein Tisch war leer, an einem anderen saßen einige Männer. So verließ ich schließlich die Kneipe.

Iqbal fragte mich: „Na und, was ist denn gewesen? Ich habe schon gesehen. Du hast eine Blume verkauft. Wie viel?“ Ich berichtete: „Fünf Mark!“ Und er sagte: „Siehst du, deshalb habe ich dir das gesagt. Heute habe ich kein Glück und du hast Glück. Du hast direkt fünf Mark mitgebracht.“ Und er redete weiter und weiter. Und ich dachte: „Oh Gott, wo bin ich jetzt gelandet? Wie komme ich aus dieser Nummer raus? Da komme ich nie wieder raus.“

Bei der nächsten Kneipe gab ich Iqbal die Blumen in die Hand. „Jetzt bist du dran. Das haben wir abgesprochen.“ Und er ging hinein. Als er wieder kam, lachte er: „Ja, hier, sechs Euro habe ich für zwei Blumen bekommen. Beim nächsten Mal bist du dran.“

Wir gingen weiter und waren schon fast in Weidenau. „Jetzt bist du dran!“. Ich ging mit schwerem Herzen hinein. An einem Tisch saßen vier Leute – ein älteres Ehepaar und ein junges Paar – ein junger Mann und eine junge Frau. Ich ging also zu ihnen und fragte: „Hier, wollen Sie Blumen kaufen? Kollege, schau, deine Freundin möchte Blumen haben.“ Da schaute mich der Mann irritiert an: „Das ist nicht meine Freundin. Das ist meine Schwester.“ Ich habe mich so geschämt. Und dann habe ich angefangen, mit ihm Englisch zu reden. Zum Glück konnten sie ganz gut Englisch. Und der junge Mann erklärte: „Das sind meine Eltern und das ist meine Schwester.“ Und der ältere Herr fragte: „Was kosten denn die Blumen?“ Ich sagte: „Fünf Mark.“ „Na, dann gib mal zwei Blumen,“ meinte er. „Eine für meine Frau und eine für meine Tochter.“ So gab ich ihnen die beiden Blumen in die Hand und nahm die zehn Mark entgegen. Ich war richtig glücklich und sagte noch „Danke.“

Dann setzte ich die Runde fort. Ich war etwas mutiger geworden als vorher und verkaufte noch zwei Blumen und erhielt noch einmal zehn Mark. Als ich herauskam, hatte Iqbal es mir schon angesehen. „Siehst du, du bist gut.“ Und er klopfte auf meine Schultern. Und dann sagte er: „Warte mal hier.“ Es war da eine Tankstelle. Iqbal lief schnell hinüber und brachte von der Tankstelle zwei Bier mit. „Komm, wir wollen schnell ein Bier trinken und dann müssen wir weiter.“ Er dachte, wenn ich Bier getrunken habe, wäre ich vielleicht etwas mutiger.

So ging es weiter. In eine Kneipe ging Iqbal und ein eine Kneipe ging ich. Schließlich hatten wir kaum noch Blumen und waren fast in Geisweid. Dort nahmen wir den Bus und fuhren zurück zum Bahnhof. Iqbal wusste, dass es am Bahnhof eine Diskothek gab. Und er sagte: „Komm mal mit.“ Und er gab mir einige Blumen in die Hand und nahm auch selber den Rest. Die Security am Eingang wollte uns nicht hinein lassen. Sie waren ein junger Mann und eine Frau. Schließlich meinten sie: „Wir lassen euch rein. Bleibt aber nicht lange.“

Als ich in die Diskothek ging, schlug mir ein dicker Schwaden entgegen. Alles war vernebelt von den Zigaretten. Der Rauch war überall. Ich konnte kaum atmen. Iqbal war schon mitten auf der Tanzfläche fing an zu tanzen. Plötzlich war er verschwunden. Ich stand in einer Ecke und hielt Ausschau nach ihm. „Wo ist denn der Iqbal hin?“ Ich wusste gar nicht, was ich machen sollte.

Überall war Nebel. Manche jungen Leute nahmen sich gegenseitig in den Arm. Manche waren ganz nass und tanzten, als wenn sie in Trance wären. Und ich dachte: „Was muss ich alles anstellen, um ein wenig Geld zu verdienen? Die tanzen so, als wenn sie überhaupt keine Sorgen im Leben haben. Einer nahm den anderen in den Arm. Ein Mädchen küsste intensiv einen Jungen. Sie blieben so Mund an Mund lange beieinander.“

Einer wollte ich Blumen verkaufen. Aber ich musste meine Hand wieder zurück ziehen. Sie haben mich überhaupt nicht beachtet. So suchte ich weiter Iqbal. „Wo ist der Iqbal?“ Und schließlich fand ich ihn. „Wo warst du denn?“, fragte ich. Ich musste schreien, weil die Musik so laut war. Und Iqbal sagte: „Ich höre dich, warum brüllst du denn?“. Ich meinte: „Ich höre mich selber nicht. Die Musik ist so laut.hier.“ Und ich drückte ihm die restliche Blumen in die Hand und sagte: „Ich gehe jetzt raus. Ich bekomme keine Luft mehr.“

Nach einiger Zeit kam auch Iqbal. Er ist tatsächlich fast alle Blumen los geworden. Wir liefen schnell zum Bahnhof. Es war nämlich schon spät. Und als wir dort ankamen, war der letzte Bus schon abgefahren. Wir konnten noch hinter dem Bus herlaufen und brüllten: „Halt, Halt!“. Der Fahrer sah uns im Spiegel. Ich konnte das genau beobachten. Aber er hielt nicht an, obwohl es der letzte Bus war. Es war 12:30 Uhr. Das fehlte uns gerade noch.

Also mussten wir laufen. Es war kalt an diesem Abend und unsere Hände froren. Deshalb reicht Iqbal mir die letzten zwei Blumen und steckte seine Hände in die warmen Jackentaschen. Mir war allerdings auch kalt an den Händen.

Es war ein weiter Weg von Siegen nach Eiserfeld, wo wir wohnten. Unterwegs zwischen Siegen und Eiserfeld gab es auch eine Kneipe. Da standen mehrere junge Leute draußen. Und Iqbal sagte: „Wir haben doch die letzten Blumen noch. Ich gehe da hin und frage.“ „Frag du mal,“ dachte ich. Es standen da zwei junge Mädchen etwas abseits. Und Iqbal gab ihnen die Blumen und vertraute ihnen an: „Die Jungs da, schenken euch die Blumen.“ Dann ging er zu den jungen Männern und bekam tatsächlich 10 Mark von ihnen.

Wir gingen weiter. Ich schaute zurück und erkannte, wie die Mädchen sich bei den Jungen bedanken wollten, und dachte: „Was die Jungen erreichen wollten, haben sie so geschafft. Sie konnten sich mit den Mädchen unterhalten. Das ist doch gar nicht verkehrt.“

Endlich war ich die Blumen los geworden und konnte auch meine Hände in die Tasche stecken. Es war ziemlich kalt. Iqbal versuchte noch, die Hand rauszustrecken mit dem Daumen nach oben, damit einer anhält, um uns mitzunehmen. Aber keiner nahm uns mit. Als wir dann schließlich zuhause ankamen, war es schon zwei Uhr morgens.

Als wir ankamen, meinte Iqbal: „Hol mal das Geld raus. Wir wollen es zählen. Und es waren 105,- Mark. Ich gab ihm so feste die Hand wie nach einem Fußballspiel, wo sie sich gegenseitig auf die Schultern klopfen und aufeinander springen. Wir aßen noch zusammen und dann wurde ich schrecklich müde. Meine Füße taten weh, weil wir an die 12 Kilometer gelaufen waren.

Am nächsten Tag, als wir aufgestanden waren, teilten wir das Geld. Nach allen Ausgaben für das Bier und den Einkauf der Blumen hatte jeder von uns 45,- Mark verdient. Ich war richtig glücklich mit meinen 45 Mark in der Tasche.

Und wieder war ich innerlich gespalten. Auf der einen Seite hatte ich 45 Mark, was ein gutes Gefühl war. Auf der anderen Seite gefiel es mir nicht. Ich saß da und irgendwie war mein Stolz gebrochen. So etwas habe ich noch nie in meinem Leben getan. Es mag sein, dass das für manche Leute Arbeit ist. Und jegliche Arbeit darf man nicht unterbewerten. Aber für mich brach diese Arbeit meinen Stolz. Sie war wie Betteln. Die Leute hatten mich so angeschaut wie einen Bedürftigen, der sie anbettelt. Zumindest hatte ich dieses Gefühl. Nein, das war keine vernünftige Arbeit. Es war minderwertige Arbeit. So sah ich sie selber an.

An diesem Tag ging ich morgens raus. Die Sonne schien richtig warm. Und ich begann, mit mir zu reden. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es einen kleinen Raja in mir selber gibt. Einen kleinen Menschen in mir und einen Außenmenschen. Und der innen drin, der kleine Raja, sagte mir: „Wenn du dir so viele Gedanken machst, dass dein Stolz beschädigt ist und du das alles mit deinem Körper und deiner Seele und deinen Gedanken nicht vereinbaren kannst, dann lass das. Mach dir keine Gedanken. Du musst das ja nicht tun. Die beste Arbeit ist doch die, die man mit seinem Körper und seiner Seele in Einklang bringen kann. Wenn du dir so viele Gedanken machst und du dadurch Kopfschmerzen hast, dann lass es sein. Geld kann man auch anderswo verdienen. „Du brauchst Geld. Aber Geld ist nicht alles.“ Das hatte meine Mutter immer gesagt. „Lass das!“

Gut, ich suchte also Iqbal und rief ihn herbei. „Lass uns reden. Es tut mir leid. Ich bin mit dir in die Stadt gegangen. Es ist alles gut und schön. Du sollst bitte nicht böse auf mich sein. Das war das erste und letzte Mal, dass ich das getan habe. Ich will keine Blumen verkaufen – nicht so. Ich helfe dir gerne. Ich gehe mit dir einkaufen. Ich mache mit dir auch die Blumen fertig. Wenn du spät wieder kommst, koche ich für dich und stelle dir dein Essen da hin. Aber, es tut mir leid, ich will nicht.“ Es war so eine Erleichterung für mich, dass ich es über das Herz gebracht habe, Iqbal zu sagen: „Nein, ich möchte nicht.“

Am nächsten Tag boten andere Iqbal an, mitzugehen. Aber Iqbal sagte: „Nein.“ Er hatte gesehen, wie sie hinter ihm her geschlichen waren und ihn heimlich beobachtet hatten. Mit diesen Leuten wollte er nichts zu tun haben.

In der folgenden Woche kam Iqbal nach Hause und sagte: „Weißt du was? Als ich los ging zum Blumen verkaufen, waren da schon zwei Gruppen vor mir. Ich hatte es gar nicht gemerkt, dass die auch schon Blumen gekauft haben und vor mir raus gegangen sind. Die haben den ganzen Blumenmarkt kaputt gemacht. Als ich in die Kneipen ging und 5 Mark haben wollte, sagten die Leute: „Nein, die anderen, die vor dir da waren, haben die Blumen für 3 Mark verkauft.“

Iqbal war an diesem Tag ziemlich ärgerlich. „Weißt du was?“ vertraute er mir an, „Ich will nicht mehr verkaufen. Als ich das letzte Mal zum Blumen-Verkaufen unterwegs war, hat ein Chinese mich angesprochen, ob ich in seinem Restaurant arbeiten will oder jemanden kenne, der für ihn arbeiten kann. Ich könnte 60 Mark pro Tag verdienen von Mittwoch bis Sonntag.“ Er wollte dort hinfahren und mit dem Chinesen reden. Vielleicht gilt das Angebot ja noch.

Am nächsten Morgen um 10 Uhr war Iqbal schon unterwegs. Als er abends nach Hause kam, teilte er mir mit: „Übermorgen, am Mittwoch, fange ich in dem chinesischen Restaurant an.“ Und so geschah es. Vier Tage in der Woche ging er zum Arbeiten. Gegen 10 Uhr morgens verließ er das Haus und nachts um 10 Uhr kam er zurück.

Zwei Wochen arbeitete er so. Wenn ich ihn anschaute, fiel mir auf, wie er mehr und mehr erschöpft aussah. Eines Abends nahm er mich an die Seite und wollte mit mir sprechen. „Ich habe Kontakt mit meinem Kollegen in Saarbrücken aufgenommen. Der hat eine Arbeit in einem deutschen Restaurant für mich. Und die zahlen gut. Da bekomme ich 10 Mark die Stunde. Ich will nicht mehr bei dem Chinesen arbeiten. Da ist viel Arbeit und wenig Geld. Hast du Interesse, bei dem Chinesen zu arbeiten?“ „Selbstverständlich,“ sagte ich.

Am nächsten Tag bereitete ich mich vor und wir waren bei dem Chinesen. Ja, liebe Freunde, so fing ich dann an, bei dem Chinesen zu arbeiten. Und diese Geschichte, wie ich bei dem Chinesen gearbeitet habe und mit ihm herumgekämpft habe, die erzähle ich euch ein anderes Mal.

Iqbal gab mir den Schlüssel von seinem Zimmer und versprach mir, mich immer wieder anzurufen. Er wollte sich regelmäßig erkundigen, ob ein Brief gekommen oder etwas Wichtiges geschehen wäre. Er war ziemlich nervös. Aber ich versprach ihm auf seine Post zu achten. Und, wenn einer vom Ausländeramt kommen sollte, dass sollte ich ihm sagen: „Der Iqbal ist nicht hier. Der ist eben spazieren gegangen.“ Oder ich erzähle ihnen eine Geschichte, dass er eine deutsche Freundin hat und da übernachtet und sich bei ihr zuhause aufhält.

Wie vereinbart rief Iqbal alle paar Tage an und erkundigte sich. Und ich berichtete ihm alles und versicherte ihm: „Du brauchst dir keine Sorgen machen. Ich pass schon auf.“

Und ich erkundigte mich, ob es in Saarbrücken auch Feldarbeit für mich gäbe. Ich erfuhr, dass man dort auch auf Bauernhöfen arbeiten könnte. Allerdings ernten sie dort keine Früchte, sondern sie bauen Blumen an. Es ist ja in der Nähe von Holland. Und die Blumen mussten auch geerntet werden und dafür brauchten sie jede Menge Leute.

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