In meinem Asylheim lernte ich noch viele andere kennen. Sie waren meine Landsleute und kamen wie ich aus Punjab in Indien. Oft wohnten sie anderswo bei ihrer Verwandtschaft in einer anderen Stadt, obwohl sie das nicht durften. In Siegen wohnten sie nur offiziell, fuhren aber quer durch Deutschland zu ihren Kollegen oder ihren Verwandten. Und, wenn die Aufenthaltserlaubnis kurz vor Ablauf war, kamen sie zurück. Die Briefe, die sie bekamen, öffnete ich und rief sie an und sagte Bescheid, welche Briefe es waren. Wenn sie privat Post aus Indien bekamen, leitete ich die Post weiter an die Adresse, die sie mir gegeben hatten. Dann steckte ich den Brief in einen Umschlag und sandte ihnen den zu.
Von diesen Jungs, die immer wieder zurückkamen, gewann ich einen anderen guten Freund. Er hieß Kala. Es gibt in Indien eine Sportart, die Kapati heißt. Sie ist zu vergleichen mit Wrestling. Ich erinnere mich noch genau. Kala hatte einen sehr strammen starken Körperbau. „Kala“ heißt auf Indisch „schwarz“. Er war aber eher weiß. Deshalb fiel er mir von Anfang an auf.
Kala kannte den Iqbal auch. Er fragte mich nach Iqbal. Ich informierte ihn. „Iqbal wohnt jetzt in Saarbrücken und arbeitet in einem Restaurant. Und er will für mich Arbeit auf einem Bauernhof suchen. Bei unseren Telefonaten haben wir mehrmals darüber gesprochen.“ Kala lachte mich an: „Bruder, willst du auf einem Bauernhof arbeiten?“ „Ja klar,“ meinte ich. Er entgegnete: „Ja, sei mir nicht böse. Du kommst aus der Stadt. Auf dem Bauernhof ist die Arbeit anstrengend und hart. Ich bin der Sohn eines Bauern. Wir haben immer einen Bauernhof gehabt. Auch für mich ist die Arbeit da schwer. Aber ich schaff das schon. Auch hier habe ich schon einige Wochen auf einem Bauernhof gearbeitet.“
Dann erzählte ich ihm, dass Iqbal bei Mönchengladbach auf einem Bauernhof gearbeitet hatte. Und Kala wurde ganz laut. „Ja klar, da war ich auch. Es war eine riesengroßer Betrieb mit vielen Kühen und vielen Schweinen.“ Und ich fragte ihn: „Iqbal hat von einem Chacha erzählt, einem Inder.“ „Ja, den kenne ich auch,“ erklärte Kala. „Chacha kenne ich schon lange. Er ist sogar Verwandtschaft dritten Grades von mir. Er kommt gar nicht weit von dem Dorf her, wo meine Eltern wohnen. Dieser Chacha da ist ein Agent. Er ist ein Schlepper. Er war auch in der 80er Jahren schon hier. Dann ist er nach einigen Jahren nach Indien zurückgekehrt. Er kennt ganz Europa. Diesen Chacha kenne ich ganz gut. Der ist nicht nur ein Schlepper. Der ist ein Verbrecher. Als ich 1988 nach Russland kam, war ich in Moskau. Chacha wohnte damals auch in Moskau. Dort hatte er eine russische Freundin, obwohl er in Indien verheiratet war und drei Töchter hatte. Mit anderen Schleppern arbeitete er in Russland zusammen, um Leute nach Deutschland zu schicken. Die anderen Inder kommandierte er herum und schüchterte sie ein. Sie hatten Angst vor ihm. Aber mich ließ er in Ruhe, weil wir weitläufig verwandt sind.“
Chacha arbeitete mit Russen zusammen, die nannten sie „Donker“. Auf indisch heißt das „Esel“ oder „Schlepper“. Und diese Donker brachten die Menschen von einer Grenze zur anderen. Die wurden bezahlt. Nur, die Inder in Moskau mussten sehr lange warten, bis sie weiter geleitet wurden. Die Jungs waren in einer kleinen Wohnung eingepfercht. Kala erinnerte sich, wie lange sie ausharren mussten. „Aber der Chacha hat mir geholfen. Ich musste nicht lange warten. Sie brachten mich von Russland aus in die Tschechei und dann über die grüne Grenze nach Deutschland. Und was sehe ich sechs Monate später in Deutschland? Ich war in einem indischen Tempel in Köln, da saß da der Chacha. Ich erschrak mich. Was macht der denn da? Nach dem Gebet unterhielt ich mich mit ihm. Er wollte meine Adresse. Ich gab sie ihm. Was passiert? Zehn Tage später landete Chacha in meinem Asylheim, wo ich wohnte, und fragte mich, ob ich auf den Feldern arbeiten möchte. „Ja klar,“ sagte ich und ging mit. So fing ich an in Mönchengladbach bei dem gleichen Bauern zu arbeiten.“
Und Kala erzählte weiter: „Die Arbeit gefiel mir gut. Und man verdiente auch gut Geld dort. Eines Abends aber kam plötzlich die Tochter des Bauern herbeigerannt. „Die Polizei ist da!“ rief sie. Wir Inder und Pakistani sollten weg rennen. Ich ergriff mit den anderen Indern und Pakistanern die Flucht. 500 Meter liefen wir fort und legten uns dann in die Felder. Aus der Ferne sahen wir, wie der Polizeiwagen kam und die Papiere anderer Leute kontrollierte. Als die Polizei wieder weg war, bekamen wir ein Zeichen, dass wir wieder hervor kommen könnten. Wir mussten erfahren, dass die Polizisten zwei Kollegen mitgenommen hatten. Die zwei waren illegal in Deutschland. Schnell räumten wir auf und jeder ging auf sein Zimmer. Unsere Stimmung war sehr gedrückt an diesem Tag.“
So erzählte Kala immer weiter. Wir saßen an diesem Tag in der Sonne. Ab und zu tranken wir ein Bier und Kala wurde immer sentimentaler. Er nahm einen kräftigen Schluck Bier und wurde ziemlich laut. Und dann brachte er hervor: „Mein Bruder, ich will dir noch etwas sagen.“ Ich schaute seine Augen an. Sie fingen an zu glänzen. „Weißt du was? Als ich bei dem Bauern gearbeitet habe, begegnete ich manchmal seiner Tochter. Und diese Tochter war so etwas von schön. Das kannst du dir gar nicht vorstellen. Sie hatte ein Pferd und lange goldene Haare. Und, wenn sie auf ihrem Pferd vorbei ritt, flogen die langen goldenen Haare durch die Luft. Du kannst es dir gar nicht vorstellen. Ihre Haut war so schön. Und schlank war sie und groß. Wenn ich sie sah, lächelte sie mich an. Und ich dachte: „Hier stimmt etwas nicht. Sie lächelt mich immer an. Und ich bin der einzige, den sie anlächelt.“ Erst später habe ich festgestellt, dass sie einfach freundlich war. Sie hat eigentlich jeden angelächelt. Dennoch habe ich ihr immer hinterher geschaut, so lange es ging. Sie war so unvorstellbar schön. Ganz ehrlich, wenn sie zu mir sagt, dass sie mich heiraten will, dann verkaufe ich mein ganzes Land und Haus in Indien und hole das Geld aus Indien, um sie zu heiraten.“
Kala nahm noch einen kräftigen Schluck. Ich hörte nur noch Geglucker, bis das Bier alle war. „Ja,“ sagte er, „von der habe ich auch schon mal geträumt. Aber, mein Bruder, es ist ja so, dass von tausenden Träumen nur einer wahr wird. Und ich glaube, dieser wird nie wahr. In Indien ist es doch auch so. Ich verstehe die andere Seite. Wer will einem Wanderarbeiter seine Tochter geben? Ich komme aus Punjab, das weißt du. Bei uns im Punjab kommen doch die Wanderarbeiter aus Utra Pardesch. Wenn diese Wanderarbeiter bei uns sind, wollen wir denen auch nicht unsere Tochter geben. Das verstehe ich.
Aber eines sage ich dir noch. Erzähle es den anderen nicht. Die lachen über mich. So ein scharf geschnittenes und schönes Gesicht habe ich noch nie gesehen. Als Gott sie schuf, war es bestimmt ein Feiertag. Er hat viel Zeit gehabt, um jede Einzelheit an diesem Mädchen selbst zu erschaffen. Und dann hat er ganz laut gelacht.“
Nach einiger Zeit wechselte Kala das Thema. „Der Bauer wohnte direkt an der Hauptstraße. Unsere Unterkunft war 5 Kilometer entfernt. Ein schmaler Feldweg führte dorthin. Er war so schmal, dass nur ein Trecker oder ein Geländewagen ihn nutzen konnte. Im Flur unseres Heimes hing ein Telefon. Wenn der Bauer uns etwas mitteilen wollte, rief er abends an. Eines Tages war er ganz nervös am Telefon und warnte uns, dass die Polizei kommt. Wir sollten weg gehen. Ich saß in meinem Zimmer und ein Kollege stürzte herein. „Der Bauer hat angerufen. Die Polizei kommt. Wir müssen weg.“ Sofort standen wir auf und liefen los. Einige hundert Meter entfernt befand sich eine Scheune, wo die Trecker und andere Geräte standen. In dieser Scheune gab es eine Holztreppe. Sie führte in einen Raum mit Heuballen und anderem Werkzeug. Wir stürzten in diesen Raum, schlossen die Tür und setzten uns auf den Boden. Wir waren so ruhig wie möglich und hörten, wie das Holz, aus dem die Scheune gebaut war, knatschte. Ich hatte das Gefühl, in einer Falle zu stecken. Wir fühlten uns wie die Fische, die in einem Fischernetz stecken. Sie kommen nicht mehr frei. Sie können machen, was sie wollen. Wir waren aber so vollkommen ruhig, dass wir jede Bewegung des Holzes hören konnten. Fast eine Stunde haben wir so ausgeharrt. Es war Sommer. Dennoch fühlten wir uns eiskalt und einer fing an zu zittern.
Später bemerkten wir, wie jemand mit einer Taschenlampe unterwegs war. Zwischen den Ritzen sah ich ein Taschenlampen-Licht. Und dann hörte ich einen Hund bellen und vernahm seine Schritte, wie er die Holztreppe herauf kam. Und der Hund bellte immer lauter. Ich dachte: „Das ist wohl ein Polizeihund, der uns gefunden hat.“ Durch den Türschlitz konnte ich ihn schließlich sehen. Und ich bemerkte, dass es kein Polizeihund war. Es war der Hund vom Bauern. Der bellte so laut vor unserer Tür. Deshalb kamen wir langsam heraus. Der Hund lief zwischen uns hin und her und freute sich. Als der Bauer hinter ihm her kam, war der Hund ganz aus dem Häuschen. Er lief immer wieder zu uns und dann zu dem Bauern und führte einen richtigen Tanz auf. Der Bauer steckte seine Hand in die Tasche und holte etwas zum Essen für den Hund hervor. Ich fragte mich: „Warum gibt der dem Hund etwas zu essen?“
Mein Bruder, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie groß dieser Hund war. Auf einmal kam er zu mir und legte seine Pfoten auf meine Schulter. Das war kein Hund. Er war fast so groß wie ein Kalb – fast so groß wie ich. Schließlich pfiff der Bauer und der Hund ließ von uns ab. Wir waren alle ziemlich nervös. Der Glücklichste von uns war, wie ich glaube, der Hund.
Schließlich kamen auch noch die Frau des Bauern und seine Tochter herbei. Sie begleiteten uns zurück zu unserer Unterkunft. Der Bauer diskutierte mit seiner Familie. Die deutschen Worte konnte ich nicht so richtig verstehen. Aber ich sah, dass der Bauer einen hochroten Kopf hatte. Immer wieder fiel das Wort „Polizei“ und er schimpfte schwer.
An diesem Abend konnte ich nicht schlafen. Den anderen ging es genau so. Wir diskutierten, was geschehen war. Am nächsten Morgen standen wir auf und gingen wieder zur Arbeit. Eigentlich war uns die Lust vergangen, irgendetwas zu tun. Aber wir gingen gegen uns an, um die Arbeit wieder aufzunehmen.
Immer wieder sah ich die Straße hinunter, ob wieder jemand zum Kontrollieren käme. Auf einmal kam ein Geländewagen. Ich machte meine Kollegen darauf aufmerksam: „Schaut mal, ganz da hinten kommt ein Geländewagen.“ Als er sich näherte, stiegen zwei Männer aus und sprachen mit dem Bauern. Sie waren in Anzügen gekleidet und hatten ein Buch in der Hand. Diese Personen sahen wichtig aus. Einer hatte sogar einen Kuli. Sie sahen wie wichtige Verwaltungsangestellte aus. Ein Kollege meinte: „Unser Bauer ist doch ein Großbauer. Und jetzt passiert, was auch in Indien passieren würde. Er kennt die Leute in der Verwaltung. Und jetzt kommen sie und der Bauer gibt ihnen etwas Geld. Geld stinkt ja nie.“ Das beruhigte uns etwas. Die Männer mit der Krawatte wirkten freundlich. Als der Bauer sie herumgeführt hatte und ihnen alles gezeigt hatte, fuhren sie wieder fort.
„Ich verstehe das nicht. Die Deutschen sind so dumm.“ So fing ein Kollege an zu schimpfen. „Ich komme aus Punjab. Dort kommen die Wanderarbeiter aus Utra Pradesch zu uns. Stell dir vor, diese tausende Wanderarbeiter kämen auf einmal nicht mehr. Unsere Felder würden alle kaputt gehen. Die ganze Ernte würde verfaulen. Deswegen sage ich: „Die Deutschen sind dumm. Sie sind so dumm.“ Ich entgegnete ihm: „Hör auf, du machst schlechte Stimmung.“ Und er antwortete: „Nein, ich mache keine schlechte Stimmung. Schau mal, wenn sie mir in meinem Pass eine Aufenthaltserlaubnis geben würden, dann würde ich vielleicht 20 Mark am Tag weniger verdienen. Aber das wäre mir egal. Ich könnte dann überall hingehen. Die Polizei könnte mich kontrollieren, so oft sie will. Was wäre dann? Ich genösse mein Leben und der Bauer auch. Warum haben sie nur solche Bauchschmerzen, mir eine Aufenthaltserlaubnis zu geben, damit ich hier arbeiten kann. Das verstehe ich überhaupt nicht.“
Ein anderer meinte: „Hör auf, ich werde nie in einer Firma arbeiten oder in einem Restaurant. Wenn du nach der Arbeit aus einem Restaurant kommst, stinkt deine ganze Kleidung nach Kochen und nach Fett. Ich mag das nicht. Ich mag frische Erde. Ich mag auch frische Luft und schöne Sonne. Schau mal, wie überall die Blumen und andere Pflanzen duften. Sie summen von den ganzen Honigbienen. Schau dir die Bäume an und in der Weite siehst du nur die Felder. Ich komme aus Punjab und kenne das auch von dort und ich habe es in mir. Schau dir unseren Bauern an. Wie viele Felder hat er? Jeden Tag ernten wir einen Lastwagen voller Erdbeeren. Und er hat auch 200 Kühe und 200 Schweine. Er braucht doch einige Arbeitskräfte. Er kommt doch immer wieder und bettelt bei den Leuten, dass sie bei ihm arbeiten. Er kann mich doch einstellen für 12 Stunden. Und, wenn es ein oder zwei Stunden mehr sind, macht mir das gar nichts aus. Aber ich verstehe das nicht. Die ganzen Politiker sind Hunde. Egal, ob das in Indien ist oder in Deutschland. Lange Autos wollen sie fahren, Bodyguards überall, das Leben genießen, ja. Aber was soll denn der Bauer hier machen? Es ist doch nicht nur der Bauer, der Geld verdienen will. Hier arbeiten 30 Leute. Wir alle haben Familien in Indien. Sie leben doch auch davon. Ich verstehe das nicht. Ich bin ja nicht so gebildet. Es ist aber nicht schwer, das zu verstehen. Wenn ich kein Geld nach Hause schicke und meine Mutter anrufe, wie soll ich das meiner Mutter erklären? Wie soll ich das meiner Mutter erklären, dass die Polizei mich festgenommen hat, weil ich gearbeitet habe? Ist es denn ein Verbrechen, zu arbeiten? Ist Arbeit ein Verbrechen? Sie schämen sich doch gar nicht, aus der Arbeit ein Verbrechen zu machen. Ich kann nur zu Gott beten: „Beende das. Gib den Leuten Weisheit und Verstand, dass sie anfangen, richtig zu denken.“
Und Kala ergänzte: „Ich verstand es auch nicht, warum wir uns verstecken müssen, wenn wir arbeiten. Das hängt ständig wie ein Schwert über unserem Nacken. Es hindert uns auch daran, in Ruhe überall spazieren gehen und herumlaufen zu können. Es geht doch auch ums Geld. Wenn man eine Aufenthaltserlaubnis hat, kann man legal arbeiten und Geld an seine Eltern überweisen, wenn die es nötig haben. Jetzt muss man illegal arbeiten und kann das Geld nicht legal transferieren. Warum soll man über Hawalla Geld schicken müssen? Das ist doch teuer und kostet 10%. Das ist alles Mist. Schau dir die Politiker an. Sie haben alle dicke Bäuche und kleben so an ihrem Stuhl, dass sie davon nicht wegkommen. Aber sie denken nicht an den kleinen Mann oder an den Bauern, wie sie ihnen helfen können. Die Bauern brauchen Arbeit und suchen Leute. Aber man darf nicht bei ihnen arbeiten. Ich kann erzählen was ich will, wer hört denn schon auf mich?“
Dann erzählte Kala weiter. „Eines Morgens gegen 4 Uhr hatte ich das Gefühl, dass das ganze Dach vibriert. Ich schaltete das Licht an und schaute aus dem Fenster. Da war alles durch Flutlicht erhellt und es landete ein Helikopter. Männer sprangen heraus. Gleichzeitig trafen Autos ein. Die Bremsen quietschten im Hof unseres Hauses, wo wir wohnten. Sofort schaltete ich das Licht aus und versteckte mich unter meinem Bett. Und ich dachte: „Vielleicht geht das vorbei.“ Es war wie in dem indischen Sprichwort: „Wenn die Taube die Katze sieht, macht sie die Augen zu und denkt, dass die Katze sie jetzt nicht mehr sieht.“
Auf jeden Fall klopfte es schwer an die Tür und wir hörten: „Polizei, bitte rauskommen!“ Ich öffnete die Tür. Zwei Polizisten machten das Licht an und gaben uns ein Zeichen mit der Hand: „Einfach rauskommen.“ So sind wir einer nach dem anderen herausgetreten. Ein Polizist hatte ein Heft in der Hand und zählte: „Eins, zwei, drei, …“ bis 19. Es war waren auch einige Frauen bei ihnen. Sie waren genau so groß und schwer wie die männlichen Polizisten. Draußen vor der Tür nahm ich Hunde wahr. Sie bellten laut und hatten Maulkörbe auf. Sie sahen sehr gefährlich aus.
Eine Polizistin sprach mit einem Kollegen. Er war in Indien Tempelwächter und sah auch genau so aus. Und sie sprachen miteinander. Schließlich musste die Polizistin laut lachen. Das verstand ich gar nicht. Die ganze Sache war doch ernst und die beiden lachten.
Dann kam ein Polizeibeamter und ordnete an: „Alle müssen sich anziehen, ihre Taschen packen, die Ausweispapiere einstecken und mitkommen.“ Jeder zog seine Hosen an, packte die Sachen ein und trat auf den Hof. Sie sammelten uns unten auf dem Hof. Ich überlegte: „So ein Pech. Ich bin bei der Arbeit erwischt worden und ich bin nicht in meinem Kreis. Ich darf mich doch nur im Kreis Siegen bewegen. Und ich befinde mich in Mönchengladbach. So ein Mist. Jetzt wird das Ausländeramt alles erfahren. Manchmal sind die ja nett, aber nicht, wenn sie vom Gericht angeschrieben werden. Was sie da wohl vom Gericht zu lesen bekommen? Das weiß ich auch nicht. Es gibt ein Sprichwort im Indischen: „Mal sehen, welche Schlange sie jetzt rausholen.“ Und ich überlegte: „Ich habe doch 800 Mark in der Tasche. Was mache ich denn jetzt damit? Wie werden sie darauf reagieren?“ Meine Gedanken waren weit weit weg. „Was soll ich machen? Welche Antwort soll ich geben, wenn sie mich etwas fragen?“
Draußen sahen wir einen großen Bus mit Gittern, in den viele Leute passten. In diesem Augenblick kam der Bauer dazu und seine Frau war auch mit dabei. Die Polizei befragte auch den Bauern sehr eingehend. Uns verfrachteten sie in den Bus. Mit allen unseren Taschen stiegen wir dort ein. Es war ein Bus, aus dem man nicht entfliehen konnte. Wie Schwerverbrecher sperrten sie uns dort ein, damit wir nicht weglaufen konnten. Wir sahen uns gegenseitig ins Gesicht und nahmen lauter Fragezeichen wahr. „Was passiert mit uns? Was sollen wir jetzt machen?“
Nach 20 Minuten kamen wir bei der Polizeistation an. Es war ein riesiges Gebäude. Dort mussten wir hineingehen und kamen ein einen großen Raum mit vielen Bänken. Wir stellten unsere Sachen hin und setzten uns. Einer von uns flüsterte ganz leise: „Die befragen jetzt jeden einzelnen von uns.“ Er sprach ganz leise und in einem speziellen Dialekt, damit ihn keiner verstehen konnte, falls sie uns mit einer Kamera aufnehmen. Wir sollten sagen, dass wir erst gestern gekommen sind. Wir sollten sagen, dass der Bauer uns gefragt hat, ob wir eine Arbeitserlaubnis haben. Und wir hätten gesagt: „Die können wir nächste Woche holen.“ Dann bekommt er wenigstens nicht so viel Ärger.“ So wollten wir es machen. Da waren wir uns einig.
Irgendwann war ich an der Reihe. Die Polizistin kam und nahm mich mit. Ich sagte aus, dass ich gestern zu meinen Kollegen gekommen wäre. Übermorgen wollte ich eigentlich schon wieder fahren. „Ich habe noch nicht einmal gearbeitet hier.“ Die Polizistin hat nur gelacht und sagte: „Ja, ja.“ Das konnte ich schon verstehen. Es war auch ein pakistanischer Dolmetscher dabei, um alles zu übersetzten. Sie durchsuchte mein Portemonnaie, fand das Geld und fragte: „Hast du die 800 Mark als Arbeitslohn bekommen oder ist das dein Privatgeld?“ Ich antwortete natürlich: „Das ist mein Privatgeld.“ Daraufhin gab sie mir mein Geld und mein Portemonnaie zurück. Nur meinen Ausweis behielt sie und gab mir dafür ein zusätzliches Papier. „Das Papier ist für das Ausländeramt. Da kannst du deinen Ausweis abholen.“ All das schrieb sie in das Protokoll, das der Dolmetscher unterschrieb. Und auch ich unterschrieb es. Dann durfte ich raus gehen.
Nach einiger Zeit kam ein Polizist, machte die Tür auf und sagte: „Jetzt könnt ihr gehen.“ Ich konnte es nicht glauben, dass ich gehen durften. Aber er hielt die Tür offen, machte ein Zeichen mit der Hand und sagte: „Ab – nach Hause!“
Es war mittlerweile schon 8 Uhr Abends. Wir liefen zum Bahnhof. Dort stellten wir uns in einem Kreis auf und berieten uns. Da kam schon wieder ein Polizeiwagen. Ich fragte: „Was will denn die Polizei schon wieder?“ Es war die gleiche Frau, die mich befragt hatte. Sie schaute mich an und war sehr freundlich. Dann fuhr sie wieder weg. Ich war froh, dass sie weg waren.
Ich fragte den Tempelwächter, der in unserem Heim mit der Polizistin gelacht hatte: „Hey, Pandit, warum hast du mit dieser Polizistin da so gelacht? Es war doch eine ernste Sache.“ Er antwortete: „Hör mal zu. Das war schon zum Lachen. Die Polizistin hat mich gefragt: „Es ist alles gut. Wir wissen, dass ihr hier seid, um Geld zu verdienen. Aber eines müsst ihr mir erklären. Dieser Raum ist etwa 25 Quadratmeter groß. Wie habt ihr hier mit fast 20 Leuten geschlafen? Das ist mir ein Rätsel. Erklärt mir mal, wie man so schlafen kann. Wenn man Mann und Frau ist, dann kann man sich in den Arm nehmen. Dann geht es vielleicht. Aber wie können 20 Männer in einem so kleinen Raum schlafen?“ Deswegen habe ich gelacht.“ Und wir fingen an alle zu lachen.
So nahm jeder seinen Zug und so kam ich nach Siegen.“