Wie es sich anfühlt, wenn die Seele in einen hiesigen Körper wandert …

Es dampft. Schwaden füllen die Luft. Der Spiegel ist benebelt. Gerade habe ich mich mit heißem Wasser gewaschen – das Gesicht, die Hände und die Füße. Da entdecke ich auf der anderen Seite ein Gesicht. Genau schaue ich hin: „Bin ich das in dem Spiegel? Der andere da sieht aus wie ein Geist im Nebel.“ So wische ich den Spiegel blank und schaue noch einmal. Und ich entdecke einen Mann mit einem 4-Tage-Bart, verquollenen Augen und ein paar Strähnen im Haar, die schon weiß geworden sind.

Die Nacht war hart gewesen. Ich hatte diesen Traum, der mich schon oft quälte.

Der Traum geht so: Ich spaziere in Indien über die Felder. Auf einmal schlängelt sich ein Python hinter mir her. Dieser Python jagt mich und ich renne weg über die Weizenfelder, über eine Mauer, aber der Python lässt nicht nach. Ich versuche auch Zickzack zu laufen, damit der Python endlich verschwindet. Aber das geschieht nicht. Irgendwann werde ich müde und langsam. Und da beißt der Python mich in die Wade und beginnt, mir mit meinem Körper zu umschlingen und zu erdrücken. Das erste, was ich da mache, ist, dass ich meinen Pass in die Jacke steckte. Dann ziehe ich den Reißverschluss zu, dass mein Pass bloß nicht wegkommt. Und dann erst fange ich an, mit dem Python zu kämpfen. Es wird ein richtiger furchtbarer Kampf. Es kommen auch Leute herbei und beobachten den Kampf. Einige wollen mir helfen. Aber ich weigere mich. Ich habe Angst, das jemand mir meine Jacke wegnimmt und der Pass dann weg ist. Und endlich finde ich einen Stein und haue damit dem Python mehrmals auf den Kopf bis dieser seinen Biss lockert. Und dann bin ich richtig froh, dass der Python tot ist und mein Fuß befreit ist. Und das erste, was ich dann mache, ist, in meine Tasche zu schauen, ob die Aufenthaltserlaubnis wirklich darin steckt.

Das war mein Traum. Pitschnass bin ich dadurch mitten in der Nacht wach geworden. Endlich realisierte ich, dass es nur ein Traum war. Und dann kamen mir Gedanken: „Ach du Schreck, gestern habe ich doch ein Einschreiben bekommen und dafür habe ich meinen Pass gebraucht. Habe ich ihn dann in meine Schublade hineingelegt oder nicht?“ Und dann bin ich ganz langsam durch die Wohnung geschlichen, damit meine Frau das nicht mitbekommt. Ich bin zur Schublade gegangen und habe mich überzeugt, dass mein Pass dort liegt. Und ich nahm den Pass in die Hand und begann, darin zu blättern, und betrachtete die eingeklebte Aufenthaltserlaubnis. Ich bemerkte, dass es schon sechs Monate her ist, dass ich sie erhalten habe. So gingen die Gedanken weiter. „Aha, jetzt muss ich noch 2 Jahre und 4 Monate warten, damit ich eine feste Aufenthaltserlaubnis bekomme. Und dann nach 5 Jahren bekomme ich eine Berechtigung. Und dann besteht die Möglichkeit, dass ich nach und nach auch einen deutschen Pass beantragen kann. Aber wie viele Sachen braucht man, um einen deutschen Pass zu beantragen?“ Oh mein Gott – das machte mich total durcheinander. Und dann habe ich noch einmal meinen Pass mit Aufenthaltserlaubnis angeschaut und genau geprüft, dass alles da ist. Beruhigt schlich ich mich wieder in mein Bett, damit es niemand bemerkt. Aber meine Frau hat es doch mitbekommen und fragte: „Was ist denn los? Warum läufst du nachts hier durch die Gegend? Warum stierst du die ganze Zeit an die Decke? Warum schläfst du nicht? Du liegst da wie ein Brett und schaust die ganze Zeit an die Decke.“ – Was soll ich sagen? Ich versuchte einfach, wieder einzuschlafen. Aber es gelang mir nicht. Und dann fing ich an zu beten. Dadurch fielen mir schließlich die Augen zu und ich konnte einschlafen.

… Und jetzt stehe ich im Dampf und sehe im Spiegel diesen Geist, der mich anschaut. Mich beschleicht das Gefühl, dass mir dieses Gesicht auf der anderen Seite etwas sagen will. Ich werde ganz ruhig und aufmerksam. „Warum schaust du mich an? Was willst du sagen?“ So spreche ich mit dem Spiegel. Und ich höre mein Ebenbild. „Schau mich nicht so komisch an. Du siehst dein Gesicht und du siehst deine Seele. Das bist du! Deine Seele ist in deinem Körper angekommen. Und du weißt, wer du bist und was du kannst. Als du so stark gearbeitet hast in Indien und hier und dich angestrengt hast und deinen Rhythmus eingehalten hast, da hast du alles erreicht. Das ist dein Weg und deine Art zu leben. Akzeptiere das! Und mache so weiter! Es gibt für dich keine Entschuldigung, nachzulassen. Schau mich nicht so an.“ Jetzt wird das Bild heller hinter dem Spiegel und beginnt zu verschwinden.

Ich schaue auf meine Uhr und die Zeiger scheinen schneller zu laufen als sonst. Ich gehe in die Küche, mache die Thermoskanne mit dem Tee fertig, renne die Treppen hinunter. So schnell renne ich wie die Feuerwehr, wenn die in Deutschland fährt. Als ich schließlich an der Bushaltestelle ankomme, stelle ich fest, dass es noch drei Minuten sind, bis der Bus kommen soll. Ich mache mir wieder Gedanken. „Was mache ich, wenn der Bus zu spät kommt?“ Doch endlich kommt er angefahren.

Ich steige in den Bus und die Sache fängt von Neuem an. Ich fange an, meine Buskarte in einer Jackentasche zu suchen. Die Busfahrerin lächelt darüber und sagt: „Du fährst doch jeden Tag. Setz dich in Ruhe da hin. Wir müssen weiter fahren.“ Als ich mich umsehe und die anderen Mitfahrenden anschaue, kommt mir der Bus wie ein Geisterbus vor. „Ein Bus voller Geister“, denke ich. Alle schauen so teilnahmslos in die Gegend mit toten Gesichtern ohne Mimik. Endlich finde ich dann doch meine Buskarte und zeige sie der Fahrerin. Die ist zufrieden, als sie die Buskarte im Spiegel sieht. Beruhigt kann ich mich wieder hinsetzen. Aber ich muss den Bus wechseln, um zu meiner Arbeitsstelle zu kommen. Und wieder fange ich an, die Tasche mit der Karte zu kontrollieren. Schnell steige ich um. Als ich mein Ziel erreiche, springe ich aus dem Bus und renne zur Arbeit. Ich habe das Gefühl, meine Füße sind schneller als der Sekundenzeiger auf meiner Uhr.

Es sind die unterschiedlichsten Leute mit mir unterwegs. Einer raucht, einer kaut Kaugummi und ich strebe Schritt für Schritt meinem Ziel entgegen. Wenn ich „Guten Morgen“ sage, antwortet der eine ganz laut, ein anderer leise und einer schaut mich komisch an, was ich denn will. „Was sagt der so laut ‚Guten Morgen‘? Das ist doch so früh nicht notwendig. Mach deine Arbeit! Geh weiter!“

Schließlich komme ich in meinem Betrieb an und nehme die Stempelkarte und stecke sie in die Stempeluhr. „Klack“ macht es. „Klack“. Jetzt werde ich wirklich wach. Ich weiß. „Aha, jetzt fängt der erste Tag meines neuen Lebens an.“ Es ist 15 Minuten vor 6. Und ich bin wieder glücklich, dass ich es in den paar Jahren, die ich nun schon arbeitete, wieder geschafft habe, pünktlich dort zu erscheinen.

Er ziehe meine Jacke aus, hänge sie auf und bemerke, dass die ganze Halle nach Kaffeeduft riecht. Obwohl ich nicht so gerne Kaffee trinke, mag ich den Kaffeegeruch. Jetzt empfinde ich, dass die Menschen hier Leben in sich haben und nicht mehr wie Geister wirken. Ich hole meine Thermoskanne heraus und setzte mich hin auf meinen Arbeitsplatz – in Ruhe – und beginne, meinen Tee richtig zu schlürfen.

Pünktlich um 6 fängt das Band an zu laufen.

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